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Archiv-Artikel

Ich ist ein anderer

Das Neue Museum Weserburg zeigt ab heute unter der Überschrift „Blick aufs Ich“ Werke aus der Sammlung der Deutschen Bank. Im Zeichen des Menschenbildnis treffen die Klassiker der Chefs auf zeitgenössische Künstler von Beuys bis Balkenhol

Über den Dächern Frankfurts sitzt der Chef in der Chefetage und schaut die Wand an. Das kommt vor. Aber etwas ist anders heute: Der Nolde ist weg. Der Nolde, den einer der Vorgänger-Chefs dem Chef überlassen hatte. Der Emil Nolde von 1931 mit dem Titel „Phantasie“. Klassische Moderne. Immerhin: Sie haben ihm was anderes an die Wand gehängt, die Kollegen der Abteilung „Artothek“. So läuft das immer in den Frankfurter Zwillingswolkenkratzern der Deutschen Bank: Wenn eines der Kunstwerke in den Fluren und Chefetagen verliehen wird, beschaffen die Kollegen von der Artothek Ersatz. Damit es was zu sehen gibt, wenn einer mal die Wand anschaut.

Derzeit hängt der Nolde im Neuen Museum Weserburg (NMW) in der Ausstellung „Blick aufs Ich“, die heute eröffnet wird. Einmal jährlich zeigt das NMW Werke aus der Sammlung Deutsche Bank, eine Sammlung, die 1979 entstand unter dem Motto „Kunst am Arbeitsplatz“ und mittlerweile fast 50.000 Kunstwerke zählt. Angekauft werden nur Werke zeitgenössischer Künstler. Falls sich doch mal ein Werk aus der Zeit vor 1945 findet, dann deshalb, weil es einer der Vor-Vorgänger vom Chef auf eigene Faust erworben hat.

Und deshalb reicht der „Blick aufs Ich“ in der Weserburg bis in die klassische Moderne: Georg Grosz‘ „Menschen im Kaffeehaus“ sind zu sehen, der „Mädchenkopf“ von Karl Schmidt-Rottluff oder August Mackes „Auf dem Friedhof in Thun“. Zahlenmäßig überlegen aber sind die Werke der Zeitgenossen: Thomas Ruff ist dabei, Joseph Beuys, Max Uhlig, Thomas Florschuetz oder Katharina Sieverding – neben anderen. Die Ausstellung versammelt insgesamt rund 80 Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen und Fotografien.

Nur den „Blick aufs Ich“ gibt sie nicht so recht frei. Klar: Es geht in allen Exponaten um den Menschen. Bei Florschuetz Fotografie (siehe Abbildung) springt er einem in fünf Teilen entgegen und hat nicht nur seine Proportionen verloren, sondern auch eine Art Wanderstock an Stelle des linken Beines – der Künstler selbst nennt seine Arbeit einen „Blick auf den Blick“. Oder Max Uhlig, der in wilden, energiegeladenen Strichen eine schemenhafte Gestalt zeichnet und ihr den Titel gibt: „Nach links schauende Frau“. Ich? Ist ein anderer.

Wo aber ist nun der „Blick aufs Ich“, wenn alle doch nur das „Du“ ins Bild setzen? Kuratorin Hanne Zech: „Der Blick auf den anderen ist immer auch eine Frage, die der Künstler an sich selbst stellt.“ Und bleibt diese Interpretation des Themas nicht ziemlich vage? Zech: „Nein, es geht hier immer um Menschenbilder.“ Zweifellos. Wie in zahllosen anderen Ausstellungen auch.

Sei‘s drum, immerhin bietet der „Blick aufs Ich“ einige Vielfalt: Katharina Sieverdings Fotoserie „Transformer“ bringt die 1970er Jahre in die Weserburg, männliche und weibliche Gesichter liegen übereinander, das daraus entstandene Wesen schaut fünffach aus tiefen Augenhöhlen von der Wand mit einem Gesichtsausdruck zwischen Verzweiflung und Laszivität. Direkt gegenüber reckt sich Reneé Sintenis „Daphne“ von 1930 in die Luft und ist gerade dabei, sich in ein Stück Natur zu entwickeln. Diese Gegenüberstellungen von zeitgenössischer Kunst und klassischer Moderne sind punktuell, aber gewollt. Zech: „Einzelne künstlerische Positionen sollen miteinander in einen Dialog gebracht werden.“ Und das ist gut so – den Frankfurter Chefs sei Dank. Klaus Irler

bis 15. Juni. Öffnungszeiten: Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr