Sicher, aber unheimlich

Das Herz von Amerika liegt geografisch und ideologisch in Branson, Missouri, und es ist ein einziger großer Themenpark: Rick Minnichs Filmdokumentation „Heaven on Earth“

Von New York sind es 1.900 Kilometer, von Los Angeles fährt man noch weiter. Mindestens eine Tagesreise ist Branson in Missouri von fast allen US-Städten entfernt. So versteht sich der 4.000-Seelen-Ort allein geografisch als „Herz Amerikas“. Mehr noch will Branson aber ideologischer Mittelpunkt sein, eine Plattform für das christlich-patriotische Bewusstsein, auf dem god’s own country gründet. So wurde das frühere Westerndorf nach dem Zweiten Weltkrieg zum Treffpunkt für Militärveteranen und passionierte Stars-’n’-Stripes-Fans: Hier gibt es Theater, in denen die Jesus-Geschichte als Geburt der Nation aufgeführt wird, hier tanzen sechsjährige Steppkes auf der Bühne Square Dance und singen „God bless America“.

Das sind die mythischen Inszenierungen im vaterländischen Las Vegas, davon handelt die Dokumentation „Heaven on Earth“, die Rick Minnich 2001 als Abschluss an der Filmhochschule in Babelsberg gedreht hat und die im gleichen Jahr noch den Zuschauerpreis beim Williamsburg Brooklyn Film Festival gewonnen hat. Ein Themenpark wird besichtigt, das merkt man vom ersten Bild an, mit dem Minnich über herbstliche Wälder hinweg filmt, um am Bahnhof von Branson zu landen. Gut 20.000 Touristen kommen täglich für einen Kurztrip mit anschließendem Country-&-Western-Entertainment oder für das „Great American Package“ – 405 Dollar pro Paar, drei Übernachtungen, Tanzshows und der Besuch des Veteran’s Museum inklusive.

Dabei interessiert sich Minnich weniger für die Obsessionen der Besucher als für die Lebensumstände der ortsansässigen Artisten. So fühlt sich Jennifer Wilson, die als wandelnde Barbie Fifties-Lieder singt, in Branson am wohlsten, „weil dies ein sicherer Platz ist, an dem man nicht getötet, vergewaltigt oder ausgeraubt wird“. Der aufgebrezelte Country-Star Barbara Fairchild glaubt, von Branson könne eine Rückbesinnung auf amerikanische Werte ausgehen, das ist Thema ihrer Lieder. Dennoch erzählt Minnich schon zu Beginn, dass in Branson einst illegale Schnapsbrenner zu Hause waren und sich Bonnie & Clyde in den nahen Wäldern versteckt haben sollen. Insofern ist der Glaube an Sicherheit auch die Verdrängung der gewalttätigen Vorgeschichte: ein unheimliches Erbe. Noch unheimlicher ist seine Begegnung mit der Crew, die den Einsatz über Hiroschima flog und den Abwurf der Atombombe „verdammt gut gemacht hat“, wie einer der alten Soldaten sagt. Dann signiert er seine Biografie. Sie kostet 30 Dollar und findet reißenden Absatz in Branson, Missouri. HARALD FRICKE

Im Nickelodeon, Termine cinema-taz