: Ejakulat der Erkenntnis
Harter Anus, weiche Vagina: Catherine Breillats Forumsbeitrag „Anatomie de l’enfer“ erzählt vom Misstrauen der Geschlechter und von Vorurteilen anatomischer Natur – schön und pornografisch
VON ANDREAS BUSCHE
Die schlaueste Publikumsfrage an Catherine Breillat zu ihrem neuen Film „Anatomie de l’enfer“ kam gegen Ende auf. Antizipiere die ewige Suche nach einem Tabubruch nicht schon das Verbot, das sie in ihren Filmen eigentlich kritisiere? Breillat gilt spätestens seit ihren Filmen „Romance“ und „Meine Schwester“ als Enfant Terrible des jüngsten französischen Schweinkram-Kinos von „Fick mich“ bis „Intimacy“; ihre Bilder sind stets von einer Körperpolitik durchzogen, wie man sie in ihrer rohen Form eher aus Pornofilmen kennt. Diese Ähnlichkeit verleitete eine Zuschauerin im Kinosaal dann auch zu der Annahme, „Anatomie de l’enfer“ sei nichts anderes als ein „intellektueller Porno“. Rein begrifflich hatte sie damit zwei Wesenszüge des Breillat’schen Oeuvres ganz richtig ausgemacht, nur lag sie in der Kombination der beiden Wörter grundlegend falsch.
Denn eigentlich ist „Anatomie de l’enfer“ vor allem etwas ganz anderes, nämlich sehr schön und ergreifend. Eine junge Frau lernt in der Disco einen schwulen Prostituierten kennen und bietet ihm Geld dafür, dass er sich vier Nächte lang mit ihrem Körper beschäftigt. Die Begegnung dieser beiden Menschen, deren Namen wir nie erfahren, ist zunächst gezeichnet von einem tiefen Misstrauen gegenüber dem anderen Geschlecht, vielmehr dem Naturell ihrer Körper. Ihre Vorurteile sind rein anatomischer Natur (der männliche Körper als Manifestation patriarchalischer Gewaltstrukturen, die Frau als allein ihrem biologischen Kreislauf unterworfenes Subjekt; der harte männliche Anus vs. weiche Vagina) – nur dass diese Anatomie keine höllische ist.
Langsam überwinden sie ihre Abscheu und öffnen sich – ganz buchstäblich – füreinander. Wie Breillat dieses Erkunden, die Neugierde am Körper des anderen (Amira Casars weißer Schneewittchenkörper gegenüber Rocko Siffredis zähem, behaartem Hardbody) in Bilder fasst, hat bei aller grafischen Explizität jedoch nie etwas Obszönes.
Eher schon verweisen ihre Erfahrungsprozesse bei Breillat auf eine neue Art des Sehens. Die Körper liegen nackt voreinander und bleiben trotzdem ein Mysterium. Sie müssen erst noch begriffen werden. Siffredi betracht das Ejakulat Casars zunächst verständnislos, bevor er es sich (die Farelly-Brüder lassen grüßen) in die Haare schmiert. Beider Körper sind so schön und geheimnisvoll, dass ihm irgendwann sogar die Tränen kommen. Und dann liegt doch auch ein Hauch von männlicher Gewalt in der Luft. Der Handrechen endet jedoch nur mit dem Stiel voran in Casars Vagina, von wo er grotesk in den Raum ragt.
Es gibt ein Problem mit den Filmen Breillats, gerade bezüglich einer implizierten Provokation, auch „Anatomie de l’enfer“ macht da keine Ausnahme: Die Körper ihrer Figuren sind immer schön, ob sie nun mit Menstruationsblut besudelt werden oder nicht. Womit Breillat am Ende doch wieder bei einer Konvention des Pornofilms angekommen ist.