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Archiv-Artikel

Ein Gesetz für die Gymnasien

Mit Beginn des zweiten Schulhalbjahres erreicht das novellierte Schulgesetz heute erstmals die Klassenräume. Doch viele Paragrafen greifen erst später. Der Empfang an Gymnasien ist herzlich, an Hauptschulen ist man enttäuscht

Die Winterferien sind vorbei – nicht nur für die über 350.000 Berliner Schüler, sondern auch für das neue Schulgesetz, das pünktlich zu Ferienbeginn am 1. Februar in Kraft getreten ist. Viele Regelungen greifen jedoch erst im nächsten Jahr. So verschmelzen 1. und 2. Klasse ab 2005 zur Schuleingangsphase, eingeschult werden die Kinder dann schon ab fünfeinhalb. Am Ende der 10. Klasse bekommen alle Erfolgreichen zudem einen einheitlichen mittleren Schulabschluss. In sieben Jahren soll es nur noch 12 statt 13 Schuljahren geben. Ob dann auch der Samstagsunterricht wiederkommt, werden die nächsten Jahre zeigen.

Vorerst haben die 131 Paragrafen fast keine Auswirkungen, dämpft die Sprecherin der Schulverwaltung, Rita Hermanns, die Erwartungen. In den nächsten Wochen werde es viele Versammlungen mit Schulleitern von unterschiedlichen Schultypen geben. Dort würde der Prozess der Umstrukturierung der Schulen im Detail erörtert.

So dringt die Gesetzesnovelle recht mühsam bis an ihren Bestimmungsort vor. An der Alfred-Nobel-Realschule in Britz sei man bisher nur durch die Presse informiert worden, sagte Schulleiter Hans-Joachim Thomas noch kurz vor Ferienbeginn. Seine Position als Schulleiter wird durch das Gesetz ab heute gestärkt. Die Leiter erhalten zum Beispiel ein Mitspracherecht bei der Auswahl ihres Lehrpersonals und dürfen die Kollegen schriftlich beurteilen.

Vorläufig versuchen sich die Direktoren ein Bild vom Gesetz und den damit verbundenen Veränderungen zu machen. Je nach Schultyp fallen die Einschätzungen unterschiedlich aus. Positive Stimmen sind vor allem an Gymnasien zu hören.

Joachim Müncheberg, Direktor der Hans-und-Hilde-Coppi-Oberschule in Lichtenberg, beurteilt das Abitur nach 12 Schuljahren positiv, weil es die im internationalen Vergleich langen Ausbildungszeiten verkürze. Jedoch betrachtet er die im Gesetz festgeschriebene erhöhte Selbsttätigkeit der Schulleiter skeptisch: „Ich darf zwar jetzt in eigener Regie Beurteilungen für Lehrerkollegen schreiben. Aber die Schulaufsicht beurteilt danach ein zweites Mal.“ Das entspreche der bisherigen Praxis.

Als Fortschritt sieht Münchberg dagegen, dass erstmals am Ende dieses Schuljahres die Qualität von Unterricht und Schulleben an jeder Schule evaluiert werden müsse. Die Evaluierung führen interne und externe Kommissionen durch. Dabei schätzen sie auch ein, wie die Schulen ihr Schulprogramm, das ab jetzt verbindlich festgeschrieben wurde, umsetzen. Das Programm, in dem die jeweilige Schule ihre pädagogischen Schwerpunkte und Lernziele setzt, soll dazu beitragen, Autonomie und Selbstständigkeit der Schulen zu fördern.

Einige Schulen, wie das John-Lennon-Gymnasium in Mitte, haben bereits Erfahrungen mit dem Konzept der „eigenverantwortlichen Schule“ gesammelt. Für Schuldirektor Jochen Pfeifer hat der Prozess der Umgestaltung daher längst begonnen. „Wir sind froh, dass wir endlich eine rechtliche Grundlage haben“, sagt Pfeifer.

Im Gegensatz dazu ist Karla Werkentin, die der Heinz-Brandt-Hauptschule in Weißensee vorsteht, sehr unglücklich mit der Novelle. „Das ist ein Gymnasial-Schulgesetz“, schimpft sie. Sie befürchtet, dass der Wert des Hauptschulabschlusses weiter sinke, da es im nächsten Jahr zusätzlich noch den erweiterten Hauptschulabschluss, der dem mittleren Schulabschluss entspreche, geben werde. Daran, dass Hauptschüler in Zukunft praxisorientiert ausgebildet werden, wie es im neuen Schulgesetz steht, glaubt sie nicht. „Dafür wird sicher kein Geld da sein“, prophezeit sie.

BASTIAN BREITER