„Unsere Unabhängigkeit ist gefährdet“

Apollinaire Malu Malu, Leiter der Unabhängigen Wahlkommission in der Demokratischen Republik Kongo, über die Vorbereitung von Wahlen, den Versuch der Einflussnahme der Kriegsparteien und die Probleme mit dem Friedensprozess

INTERVIEW DOMINIC JOHNSON

taz: Im Kongo sind für das Jahr 2005 erstmals Wahlen geplant. Ist das überhaupt machbar angesichts des Zustands des Landes?

Apollinaire Malu Malu: Doch, schon. Der Zeitplan ist ambitioniert, aber wir arbeiten wie Verrückte. Der Plan ist, dass bis Juni ein Verfassungsentwurf und ein Wahlgesetz fertig sind. Von Juli bis September 2004 werden die Wähler registriert. Im Oktober 2004 steht die Wahlliste, im Dezember gibt es ein Referendum über die neue Verfassung, im Juli 2005 Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Der Zeitplan kann sich aber auch noch ändern.

Welche Probleme sind bei der Vorbereitung absehbar?

Das große Problem ist, die ganzen Gesetze zu erstellen. Wir brauchen ein Parteiengesetz und ein Wahlgesetz, Gesetze zur Staatsbürgerschaft und Wählerregistrierung und den Verfassungsentwurf.

Wie soll das alles gehen, bis Juni? Schon jetzt, nach dem ersten halben Jahr der Übergangsperiode, sind viele Dinge im Verzug.

Man darf die Dinge nicht am ersten halben Jahr messen. Damals gingen wir gerade aus dem Krieg hervor. Es gab keine Institutionen, keinen Haushalt, nichts. Jetzt gibt es all diese Dinge, und jeder muss seine Arbeit tun.

Die erste Hälfte von 2004 ist entscheidend. Der Verfassungsentwurf muss schnell fertig werden, damit das Parlament ihn debattieren kann. Wenn die zuständige Kommission ihn erst im Juni abschließt, debattiert das Parlament danach, und dann kommt der Zeitplan ins Rutschen.

Das zweite Problem ist, dass der Kongo noch nicht vollständig wiedervereinigt ist. Wir brauchen im ganzen Land eine einheitliche Verwaltung, Polizei- und Militärstruktur. Drittens muss die Finanzierung unserer Arbeit geklärt werden, und dann müssen wir die Bevölkerung mobilisieren und aufklären. Das ist eine Aufgabe für NGOs, Kirchen und Medien.

Ziehen alle an einem Strang? Schon die Einrichtung Ihrer Wahlkommission sorgte für Streit.

Das Gesetz über die Wahlkommission enthält viele positive Elemente. Es schreibt unsere administrative und finanzielle Unabhängigkeit fest und klärt unsere Aufgaben. Leider richtete das Parlament Wahlkommissionsbüros auf Provinz- und Territorialebene ein, um die Kommission unter Kontrolle der an der Regierung beteiligten Gruppen, also der ehemaligen Kriegsparteien, zu halten. Jetzt ist die Struktur nicht mehr zu bewältigen; sie besteht aus insgesamt 1.600 Personen.

Außerdem ist unsere Unabhängigkeit gefährdet, weil die an der Regierung beteiligten Gruppen die Vertreter der Wahlkommission auf allen Ebenen bestimmen. Das beschädigt die Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses, denn Kandidaten aus Parteien, die nicht an der Regierung beteiligt sind, werden da kein Vertrauen hineinsetzen. Und schließlich ist das alles nicht zu finanzieren. Der Geldbedarf der Wahlkommission ist durch dieses Gesetz von 15 auf 41 Millionen Dollar gewachsen.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Wir müssen auf allen Ebenen unser Personal selbst bestimmen können, ohne Einmischung. Unser Kompromissvorschlag sieht vor, dass es nur auf Provinzebene Vertreter der an der Regierung beteiligten Gruppen gibt. Und wir brauchen nicht in jedem Distrikt ein Büro, sondern nur rund sechzig im ganzen Land. Wir richten weniger ein, aber wir statten sie auch besser aus – mit Internetanschluss, Ausbildern, Logistikern, Technikern, Buchhaltern und Experten für Wahllisten und Wahlvorbereitung.

Meinen Sie, dass die ehemaligen Kriegsparteien ihre Macht über die Wahlkommission aufgeben?

Nicht ganz, denn sie sind während der Übergangsperiode nun einmal an der Macht. Aber sie müssen sich für den Wahlkampf in Parteien verwandeln, und dann werden wir für die Gleichbehandlung der Parteien sorgen. Unser Kompromissvorschlag liegt jetzt in einem Vermittlungsausschuss. Wenn er dort nicht durchkommt, ziehen wir vor das Oberste Gericht und verlangen eine Klärung der Frage, ob die Wahlkommission unabhängig ist oder nicht.

William Swing, der UN-Chef im Kongo, hat gesagt, die Wahlen seien auch ohne Volkszählung möglich. Wie muss man sich das vorstellen?

Man muss unterscheiden zwischen Volkszählung und Wählerregistrierung. Eine Volkszählung bedeutet die systematische Erfassung aller Bewohner. Man geht zu den Menschen hin, von Tür zu Tür. Eine Wählerregistrierung bedeutet die Einrichtung von Registrierungszentren. Die Menschen müssen dort hingehen, um sich in die Listen einzutragen. Wir sehen rund 6.000 Zentren für die 60 Millionen Kongolesen vor. Damit werden alle gleich behandelt.