: Mehr als 40 Bewerber für eine Stelle
Kaum merkliche Frühjahrsbelebung auf dem Arbeitsmarkt: Rund 18,7 Prozent der Berliner sind arbeitslos gemeldet, deutlich mehr als noch vor einem Jahr. Unter den Nichtdeutschen stieg die Erwerbslosigkeit noch schneller
Barbaros Pakman ist sich sicher: Er müsste nicht arbeitslos sein. „Schuld sind die Gesetze“, sagt der 24-jährige Türke, der gestern wieder einmal auf dem Arbeitsamt Mitte war. Seit fast zwei Jahren warte er nun schon auf eine Arbeitserlaubnis – umsonst. Nun müsse er noch drei Monate Geduld üben, aber er versuche eben immer wieder, die Zeit abzukürzen. „Ich habe schon sechs, sieben Angebote als Grafikdesigner gehabt, aber die Arbeitgeber dürfen mich noch nicht nehmen.“ Statt Steuern zu zahlen, beziehe er Sozialhilfe. „Verrückt.“
Verrückt dürften auch viele der 317.591 Berliner und Berlinerinnen, die im März arbeitslos gemeldet waren, ihre Situation empfinden. Auch wenn viele von ihnen wenig Aussicht auf einen Job haben. Denn 7.854 gemeldete offene Stellen bedeuten rein rechnerisch: mehr als 40 Arbeitslose streiten sich um eine Arbeitstelle – Stellen, die zu einem Großteil befristet oder in Teilzeit sind.
Von einer Entwarnung auf dem Arbeitsmarkt kann jedenfalls keine Rede sein. Die jahreszeitlich übliche Erholung blieb fast vollständig aus. Im März gab es 87 Arbeitslose weniger als im Februar dieses Jahres. Die Arbeitslosenquote beträgt wie im Februar 18,7 Prozent, vor einem Jahr lag sie bei 17,0 Prozent. Das Landesarbeitsamt machte vor allem die „generelle Konjunkturschwäche“ dafür verantwortlich.
Fast jeder dritte Arbeitslose in Berlin ist mittlerweile bereits länger als zwölf Monate ohne Anstellung. Damit stieg die Zahl der Langzeitarbeitslosen binnen Jahresfrist um 15,6 Prozent.
Etwa jeder sechste Arbeitslose in Berlin ist derzeit ein Ausländer. Mit 54.500 gemeldeten Arbeitslosen erhöhte sich diese Zahl binnen Jahresfrist um 7,5 Prozent. Innerhalb Berlins gab es bei der Arbeitslosenzahl weiterhin erhebliche Unterschiede. Am niedrigsten ist die Quote in Steglitz-Zehlendorf mit 12,1 Prozent. In Friedrichshain-Kreuzberg liegt sie mit 24,2 Prozent doppelt so hoch. Niedriger sind die Quoten auch im Umland; im Arbeitsamtsbezirk Potsdam etwa liegt sie bei 18,7 Prozent.
Die Berliner Opposition macht auch die Senatspolitik für die Lage verantwortlich. Dagegen bekräftigte Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) seine Kritik an der Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Bundesregierung, deren Reformvorschläge bisher „enttäuschend und diffus“ seien. Eine Strategie, die ausschließlich auf Leistungskürzungen baue, werde „ihr Ziel verfehlen“.
Als Besorgnis erregend bezeichnete die Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz die „dramatisch“ angestiegene Jugendarbeitslosigkeit und die große Lehrstellenlücke. Sie forderte den Senat auf, die Ausbildung im öffentlichen Dienst nicht weiter zurückzufahren, zudem müsse der Senat dafür werben, dass Firmen Überstunden in Zeitarbeitsplätze umwandeln. Joachim Wallrafen beeindruckt das wenig. Die hohe Arbeitslosigkeit sei ein Strukurproblem, Unternehmer und Politiker würden die Arbeitslosen ohnehin verschaukeln, meinte der 42-jährige Bühnentechniker gestern vor dem Arbeitsamt Mitte. „Das Problem ist nicht, arbeitslos zu sein. Das Problem ist, kein Geld zu haben.“
RICHARD ROTHER