: Intelligente Kunstwesen
In der Natur suchen die Erbauer von Robotern nach Vorbildern für die Eigenschaften ihrer künstlichen Wesen. Das Zielist die Erschaffung von lernfähigen Maschinen, die selbstständig auf eine sich verändernde Umwelt reagieren können
von CLAUDIA BORCHARD-TUCH
Rund 80 Jahre ist es her, seit der tschechische Schriftsteller Karel Čapek den ersten Roboter erfand und ihn in seinem Theaterstück „Rossum Universal Robots“ auftreten ließ. Der Čapek’sche Roboter war den natürlichen Lebewesen sehr ähnlich: Er bestand aus „Protoplasma“, dem auf zauberhafte Weise Leben eingeflößt worden war.
Demgegenüber wirken die meisten heutigen Roboter höchst lebensfremd: Sie bestehen aus mechanischen und elektronischen Bauteilen und erledigen immer wieder den gleichen Arbeitsvorgang. So etwas wie innere Freiheit besitzen diese „Wesen“ nicht, da sie während ihres gesamten Daseins den Befehlen eines kaum veränderbaren Computerprogramms gehorchen.
Dies soll in Zukunft anders werden: Die autonome Robotik ist ein hochaktuelles Fachgebiet. Sie will Wesen schaffen, die „richtig“ handeln – sogar dann, wenn sich ihre inneren oder äußeren Welten verändern. Die Natur bietet das Vorbild – die Technik greift auf die Biologie über und biologische Gesetzmäßigkeiten erfassen die Robotik.
Insbesondere bei Tieren finden die Forscher die Fähigkeiten, die sie ihren Maschinen gerne geben würden: Tiere sind robust und lernfähig und kommen ohne Fernsteuerung aus. Dass einst auch die Animal-Automaten selbstständig werden – dies ist das wichtigste Ziel der autonomen Robotik.
Doch was interessiert umgekehrt den Biologen an den Robotern? Holk Cruse, Biokybernetiker an der Universität Bielefeld, erklärt: „Selbst einfaches Verhalten von Tieren ist kaum nachvollziehbar. Schon das Laufen ist jenseits dieser Komplexitätsgrenze. Also braucht man ein Denkzeug – ein Werkzeug, das einem denken hilft.“
Noch ist das wichtigste Werkzeug die Computersimulation, die Vorgänge möglichst wirklichkeitsgetreu nachahmt. Aber niemand kann sagen, ob simulierte und reale Welt übereinstimmen oder einander wenigstens ähnlich sind. Dagegen können autonome Roboter zeigen, ob das ausgedachte Modell tatsächlich funktioniert oder nicht.
Vor allem Insekten faszinieren die Forscher mit ihren beeindruckenden Orientierungs- und Kooperationsleistungen, die im Widerspruch zu ihren winzigen Gehirnen zu stehen scheinen. So zeigen die Tiere ein erstaunliches Geschick bei ihrem fliegerischen Können. Unter den Insekten verfügt besonders die Fliege über das Seh- und Reaktionsvermögen, das für einen autonomen Roboter ideal wäre. Sie fliegt zielorientiert und weicht allen Hindernissen und Verfolgern mit großem Geschick aus. Wie sie das schafft, haben zahlreiche Untersuchungen an den Tag gebracht, die in den letzten vier Jahrzehnten durchgeführt worden sind. Ähnlich vielen anderen Insekten besitzt die Fliege zwei Facettenaugen, mit denen sie den gesamten Raum überblicken kann, ohne ihren Kopf zu bewegen. Um überleben zu können, ist es für die Fliege wichtig, schnell ablaufende Vorgänge zu erfassen. Daher kann die Fliege 200 Bilder in der Sekunde getrennt wahrnehmen – der Mensch hingegen höchstens 60. Bewegung spielt auch eine große Rolle im Orientierungsvermögen der Fliege. Deshalb besitzt ein Fliegengehirn Nervenzellen, die sich auf das Erkennen bestimmter Bewegungsmuster spezialisiert haben.
Susanne Huber und Heinrich Bülthoff vom Max-Planck-Institut in Tübingen entwickelten eine Steuereinheit, die einem Khepera-Roboter – einem zylinderförmigen Miniroboter – ein räumliches Orientierungsvermögen verschafft. Hierzu verliehen die Wissenschaftler ihrem Roboter die Fähigkeiten einer Fliege – jedoch mit anderen Mitteln: Beispielsweise verfügt der Roboter wie die Fliege über einen Rundumblick – mit Hilfe eines kegelförmigen Spiegels, der über einer kleinen Videokamera montiert ist. Ähnlich der Fliege verstärkt der Roboter die Kontraste im wahrgenommenen Bild seiner Umwelt. Verwirklichen dies jedoch bei der Fliege bestimmte Nervenzellen, erledigt dies im Roboter ein Filter. Wie die Fliege erkennt der Roboter rasch wechselnde Bewegungsmuster – durch Bewegungsmelder, deren Informationen in einem neuronalen Netz, das auf elektronischem Weg die Nervenstrukturen eines Lebewesens nachahmt, weiterverarbeitet werden.
Fliegen können äußerst geschickt zwischen Dingen ihrer Umwelt navigieren. Wahrscheinlich reagieren bestimmte Nervenzellen im Fliegengehirn stärker auf eine Vorwärtsbewegung als auf eine Rückwärtsbewegung eines Bildes und leiten diese Informationen sofort an die Muskeln weiter: Die Fliege weicht dem Objekt, das ihr entgegenkommt, aus. Im Khepera-Roboter sind es Einheiten des neuronalen Netzes, die das Verhalten der Nervenzellen modellieren.
Dass das künstliche Wesen tatsächlich funktioniert, konnten die Wissenschaftler bereits zeigen. Sie testeten den Roboter in einem Raum, dessen Wände unterschiedlich gemustert waren. Es gelang dem Automaten, vorgegebene Streifen zu erkennen, sie von verschiedenen Startpunkten aus anzusteuern und sie zu fixieren – sie unbeweglich in sein Kameraauge zu fassen.
Neben der Fliege ist auch die Stabheuschrecke ein wichtiges natürliches Vorbild. Forscher am Lehrstuhl für Mechanik an der Gerhard-Mercator-Universität in Duisburg schufen den Sechsfüßler Tarry. Er ist eine Gehmaschine, die eigenständig die Fortbewegung einer Stabheuschrecke nachahmt. Da je nach Gangart zwischen drei und fünf Beinen ständig Bodenkontakt halten, ist diese Fortbewegung sehr sicher. Es sind Motoren, die Tarrys Beine bewegen. Zusätzlich verfügt Tarry über Sensoren, die ihm mitteilen, wann er festen Boden unter den Füßen hat oder wann er mit einem Hindernis zusammenstößt. Ähnlich der echten Heuschrecke ist Tarry lernfähig. So muss er sich das Wissen erwerben, richtig auf Hindernisse zu reagieren – großen sollte er ausweichen, kleinere übersteigen.
Auch die Entwicklung anderer Animal-Automaten oder – kurz ausgedrückt – Animaten hat zu erstaunlichen Ergebnissen geführt. An der schottischen University of Sterling geht eine Robotergrille auf den Lockruf einer anderen ein. Mit Hilfe von winzigen Mikrofonen erkennt sie die Schallwellen ebenso phasenverschoben wie ihr natürliches Vorbild. Die Robotergrille kann nicht nur die Richtung erkennen, in die sie sich bewegen muss, sondern sogar zwischen verschiedenen Klangquellen unterscheiden und auf wichtige Umweltbedingungen reagieren.
An der Universität Cambridge schlägt eine künstliche Motte ihre mechanischen Flügel. Und in Massachusetts gleitet ein metallener Tunfisch durch die Wasserfluten. Ob es den Forschern allerdings jemals gelingen wird, ihren künstlichen Wesen eine eigene Evolution zu ermöglichen oder ihnen sogar eine Überlegenheit gegenüber den Menschen zu verschaffen, ist jedoch äußerst zweifelhaft.
Dennoch gibt es Wissenschaftler, die anderer Auffassung sind. So ist Hans Moravec, Direktor des Mobile Laboratory der Universität Pittsburgh, der festen Überzeugung, dass Robotern eine eigene Evolution bevorsteht und sie dann ungeahnte Dinge vollbringen können. „Roboter werden stufenweise kompetenter und unabhängiger werden“, behauptet Moravec. Er ist der festen Überzeugung, dass der Sprung zum denkenden und fühlenden Elektronengehirn relativ einfach gelingen wird: „Ich behaupte, dass Computer eines Tages auf dieselbe Weise wahrnehmen, erkennen und denken können wie der Mensch“, heißt seine zentrale These.
Andere Wissenschaftler – wie zum Beispiel der Roboterexperte Wolfram Burgard, Albert-Ludwig-Universität Freiburg, bezweifeln dies: „Irgendwie hat doch jedes komplexe Lebewesen ein Gehirn – auch eine Ameise. Aber das kann man nicht gleich als Intelligenz bezeichnen. Die Frage, was Intelligenz wirklich ausmacht und woran wir sie charakterisieren können, ist ja ohnehin nicht zu beantworten.“
Tatsächlich hat man bisher noch keine Antworten auf diese Fragen gefunden – eines jedoch ist sicher: Wie alle Erfindungen werden autonome Roboter sowohl im Guten als auch im Schlechten von Nutzen sein.