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Archiv-Artikel

Notteams für fliehende Frauen

KurdInnen im Nordirak fliehen nicht zum ersten Mal. Zwei Hilfsorganisationen unterstützen mehrfach Traumatisierte

BERLIN taz ■ Mit Teams von Psychologinnen, Krankenschwestern und Sozialarbeiterinnen wollen die Hilfsorganisationen Wadi und Medica Mondiale fliehende Frauen im Nordirak unterstützen. Das gab die Frauenhilfsorganisation Medica Mondiale gestern bei einem Pressegespräch aus Anlass ihres zehnjährigen Bestehens bekannt. Die Organisation werde sich künftig aus direkten Projekten zurückziehen und verstärkt andere vor Ort arbeitende Organisationen durch Spenden unterstützen, so die Sprecherin von Medica, Isabella Stock. Im Irak wird nun die seit langem dort tätige Organisation Wadi, die im kurdischen Norden unter anderem Frauenzentren und Alphabetisierungskampagnen betreut, mit etwa 20.000 Euro unterstützt.

Die Teams sollen die Fluchtrouten abfahren und „Frauen, die nicht mehr weiter können, einsammeln“, erklärte Wadi-Sprecher Thomas Uwer gegenüber der taz. Es seien auf der Flucht mehrere Kampflinien zu durchbrechen. „Da herrscht Chaos: wer kann, prügelt sich durch“, so Uwer, „Frauen ziehen dabei häufig den Kürzeren“. Die Teams würden zudem versuchen, Familien, die auf der Flucht auseinander gerissen würden, wieder zusammenzubringen. Die wichtigste Arbeit sei aber, denjenigen, die oft durch ihre Vorgeschichte bereits traumatisiert seien, zu helfen.

Im Nordirak wüteten in den Achtzigerjahren die Soldaten Saddam Husseins. Bei der nach einer Koransure benannten Anfal-Operation sollen 180.000 Menschen ums Leben gekommen sein, 4.000 Dörfer wurden zerstört, das Städtchen Halabdscha Ziel eines Giftgasangriffes.

Das im Irak geltende Gesetz der Sippenhaft bedeutete: Wenn man der kurdischen Kämpfer nicht habhaft wurde, nahm man dafür seine Frau gefangen. Haft bedeutet Gewalt – und für Frauen mit relativ großer Wahrscheinlichkeit Vergewaltigung. Das zeigten laut Thomas Uwer Studien von Amnesty International und Human Rights Watch. Frauen, deren Mann im Zuge dieser Operationen verschwand, konnten nicht erneut heiraten, denn offiziell galt ihr Mann nicht als tot. Als „Anfal-Witwen“ stigmatisiert, mussten und müssen sie in einer auf die Ehe fixierten Gesellschaft ein Auskommen finden.

Zudem gilt im Irak das „Gesetz der persönlichen Ehre“, das besagt, dass ein Ehemann seine Frau, wenn diese sich seiner Ansicht nach „unehrenhaft“ verhält, schlagen und im Extremfall auch umbringen darf. Lediglich im kurdischen Nordirak wurde das Gesetz nach dem letzten Golfkrieg abgeschafft. Dennoch sei die gesamte irakische Gesellschaft durch die zunehmende Repression „eine Gesellschaft der Gewalt“ geworden, so Uwer. Am wehrlosesten und deshalb auch am stärksten traumatisiert seien die Frauen. „Wir haben unsere Arbeit in dieser Region gar nicht mit der ausdrücklichen Zielgruppe „Frauen“ begonnen, so erinnert sich Uwer. „Aber es zeigte sich regelmäßig, dass die Lage der Frauen absolut katastrophal ist.“ HEIDE OESTREICH