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Archiv-Artikel

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Das Konzept „Wachsende Stadt“ verlangt geschrumpfte Geisteswissenschaften: Für einen gesunden Uni-Körper ist der Verzicht auf das eine oder andere Glied zwar manchmal „schmerzhaft“, aber „unabdingbar“

„Gefragt wird allein noch nach Geld und nicht mehr nach Wahrheit“

von HEINZ-GÜNTER HOLLEIN

Mit rund 8000 StudentInnen in 59 Einzelfächern sind die Geisteswissenschaften in den Augen der Strukturkommission zur Optimierung der Hamburger Universität „das größte Aufgabenfeld“. Und das durchaus im doppelten Sinne des Wortes. Hält doch die Kommission unter Klaus von Dohnanyi „die konsequente Aufgabe“ von mehr als der Hälfte dieser Fächer für zwar „schmerzhaft“, aber „unabdingbar“.

Die Abrissbirne zur Bündelung der geistigen Ressourcen schwebt über den Fachbereichen 01 (Evangelische Theologie / 6 Institute), 07 (Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften / 17 Fächer) sowie den Fachbereichen 08 bis 10 (Philosophie und Geschichte, Kulturgeschichte, Orientalistik / 36 Fächer). Angestrebt ist eine Zusammenlegung der fünf Bereiche in eine „Sektion Geistes-, Kultur und Sprachwissenschaften“ mit „etwa“ 25 Fächern und gemeinsamen Grundstudiengängen bei gleichzeitiger Reduzierung der Anzahl der Studienanfänger um mindestens 25 Prozent und der Absolventen von derzeit 510 auf 330 pro Jahr.

Das Schwingen der Axt, sprich „die fachliche Schwerpunktsetzung“, soll „grundsätzlich“ der Universität überlassen bleiben (siehe Seiten 3 und 4). Maßgeblich ist allerdings die „Definition“ der „wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven“ Hamburgs im Umfeld des Konzepts „Wachsende Stadt“ durch den Senat. Der hat sechs „Lebenswissenschaften“ (darunter Nanotechnologie, Luftfahrt, Hafen) „identifiziert“, in deren Rahmen allerdings nur der Sinologie ein intellektueller Nutzwert für Hamburg als „China-Portal“ zuerkannt wird.

„Naturgemäß sehr begrenzt“ sei in der Tat „die unmittelbare praktische Anwendbarkeit“ einer Disziplin wie der Klassischen Philologie, hält der aktuelle Forschungsbericht der Universität beinahe verschämt fest. Andererseits bearbeite das Fach mit der Erforschung der altgriechischen und lateinischen Literatur „den Boden, aus dem sich der Baum des abendländischen Denkens nährt“, schrieb Carl-Friedrich von Weizsäcker. Nützlichkeit und akademischer Erkenntnisgewinn sind die beiden Pole, zwischen denen die Hamburger Geisteswissenschaften ihre Existenz zu rechtfertigen haben.

Dabei sind die Klassischen Philologen noch gut dran. Werden sie doch von der Dohnanyi-Kommission zu den „etwa zehn“ Bereichen gezählt, ohne die eine europäische Metropolen-Universität „nicht denkbar wäre“. Dazu gehören auch Philosophie, Geschichte und die „europäischen Kernsprachen“. Nicht dazu gehört offensichtlich ein Fach wie die Uralistik, die sich mit dem Ostjakischen und anderen kleineren sibirischen Sprachfamilien beschäftigt.

Ausdrücklich gelobt wird im Kommissionsbericht die Orientalistik, deren Know-how der Hamburger Polizei zu einem „besseren Umgang mit asiatischen Gästen“ verholfen habe. Nicht erwähnt wird die Ethnologie, deren „Anwendung in der Praxis“ unter anderem in der Beratung der Sozialarbeit mit Ausländern liegt, wie immerhin der aktuelle Forschungsbericht vermerkt. Gefragt sind ob der aktuellen Entwicklung auch die Islamisten und – aus Prestigegründen – die Kunsthistoriker, deren Institut in der Tradition Aby Warburgs und Erwin Panofskys immer noch Weltruf besitzt.

Die Masse der kleinen „Ein-Professoren-Fächer“ wie Uralistik, Ägyptologie oder Altamerikanistik muss sich dagegen sagen lassen, dass „ihr Profil überregional kaum wahrnehmbar“ sei, „qualitativ den Anforderungen nicht mehr genüge“, ja sogar „den Ruf der Universität bedrohe“. Dieses Urteil mutet einigermaßen zynisch an, haben doch gerade die seit Jahren praktizierten Mittelkürzungen dazu geführt, dass „die Forschung nur noch diskontinuierlich und unter großen Schwierigkeiten betrieben werden kann“, wie es der Forschungsbericht zum Beispiel für die Völkerkunde lapidar feststellt.

Die „Aufgabe“ der Kleinen soll laut Kommission die „Fokussierung“ auf die Starken ermöglichen. Und stark ist, wer für Hamburg wirtschaftlich relevant ist. Ein breites geisteswissenschaftliches Spekrum wird der Rentabilität geopfert. Gefragt werde allein noch nach Geld und nicht mehr nach Wahrheit, stellte Professor Martin Warnke, der führende Repräsentant der Hamburger Kunstgeschichte im Januar anlässlich seiner Emeritierung fest und schloss seine Abschiedsrede mit dem bitteren Fazit, er verlasse die Universität „im Moment ihres Sterbens.“