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Archiv-Artikel

Bonbons für die Großen

Dohnanyis Strukturreform bis 2012 bedeutet einen Abbau von Bildungschancen für die heutige Schülergeneration. Trotzdem sind viele Professoren ganz angetan

Das Medizinstudium soll besser keiner mit halber Qualifikation abschließen

von KAIJA KUTTER

„Wie würden Sie es denn machen, die Stadt hat doch nun mal kein Geld?“, fragt der Leiter eines Hochschulbereichs, der gerade ganz glücklich über die Entwicklung der Dinge ist. Studienplätze werden zwar abgebaut, aber sein Einfluss wird erweitert und nicht, wie ursprünglich befürchtet, beschnitten. „Dräger sagt, wir sollen uns reformieren. Und als Bonbon müssen wir weniger Studenten betreuen“, berichtet ein Professor. Bonbons für die Großen, dafür weniger Chancen für die heutigen Schüler?

Wissenschaftssenator Jörg Dräger stößt mit seiner Radikal-Reform des Hamburger Hochschulwesens keineswegs auf flächendeckenden Widerstand. Die geisteswissenschaftlichen Dekane beispielsweise haben sich auf einen „pragmatisch konstruktiven“ Umgang mit den Empfehlungen der Dohnanyi-Kommission verständigt, wie es Jürgen Sarnowsky formuliert. Die starre Vorgabe, die Geisteswissenschaften müssten auf 25 Fächer halbiert werden, sei vom Tisch, berichtet der Historiker. Bei der Frage, wie viele Fächer es künftig gebe, haben die Dekane nun mehr Spielraum (siehe Seite 4).

Auch im Konflikt um die Zusammenlegung der Architektur zeichnet sich eine harmonische Lösung ab. Die Architektenkammer hat vorgeschlagen, eine gemeinsame Bauakademie mit Nähe zur Kunst zu installieren, was auch Kunsthochschul-Chef Martin Köttering als „hochinteressant“ lobt. Im Zuge dieser Fusion würde die Zahl der Architekturstudienplätze halbiert. Die Kammer begrüßt dies, weil gegenwärtig bundesweit weit mehr Architekten ausgebildet werden, als davon leben können.

Doch diese 237 Studienanfängerplätze summieren sich mit den 280 bei den Geisteswissenschaften, den 341 bei den Sozialwissenschaften, den 329 bei den Wirtschaftswissenschaften, den 473 bei den Juristen, den 27 bei den Medizinern, den 120 bei den Künstlern und den 30 bei den Musikern zu einem Abbau von rund 1800 Studienanfängerplätzen. Fast jeder sechste Platz, das räumt auch Dräger ein, fällt künftig weg. Dies sei aber nicht schlimm, da Hamburg über die besseren Studienbedingungen die Erfolgsquoten erhöhe.

Statt 6000 Absolventen im Jahr 2002, so verkündete Klaus von Dohnayni bei der Vorstellung seiner „Entwicklungsperspektiven 2003 bis 2012“, werde Hamburg in Zukunft 6700 Absolventen hervorbringen. Und vermied es dabei, darauf hinzuweisen, dass die Hälfte davon Bachelor-Absolventen (BA) sein sollen, die nur noch ein Kurzstudium absolvieren. Hier wird, je nachdem ob Bachelors acht oder sechs Semester dauern, noch mal ein zehn- bis 20-prozentiger Bildungsabbau vollzogen.

Je nach Fach gibt Dohnanyi Quoten vor, ohne die sein Modell nicht finanzierbar wäre. Das Medizinstudium soll besser keiner mit halber Qualifikation abschließen, auch Lehrer und Juristen dürfen weitgehend im alten Umfang zu Ende studieren. Bei Geistes- und Sozialwissenschaften sollen dagegen nur 40 Prozent den Master machen, bei Betriebswirtschaft gar nur 30. Und die Master-Quote an Fachhochschulen dümpelt in allen Feldern ganz niedrig zwischen 20 und 30 Prozent. Selbst wenn es keine festgeschriebenen Quoten geben wird – was auch verfassungswidrig wäre –, ist zu befürchten, dass rigide Aufnahmeprüfungen für eine Einhaltung der Quoten sorgten. Studierende müssen ihr Studium künftig nicht nur bewältigen, sie müssen zu den „besten“ gehören, um weiterzukommen.

Die Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP) hat das Bachelor-Master-System bereits eingeführt und ist überzeugt von der Reform. „Die Studierenden gehen mit dem Bachelor ab und sind glücklich damit“, sagt HWP-Sprecher Christian Hild. Ein kurzes, kompaktes Studium, das eine konkrete Berufsperspektive bietet, wäre vielleicht tatsächlich bei vielen Studierenden beliebt. Aber es gibt Zweifel an der Machbarkeit dieser Reform. „Wir müssen das Diplom weiter parallel anbieten“, sagt Uni-Vize-Präsident Karl-Werner Hansmann. „Die Firmen wissen nicht, welche Qualität hinter einem Bachelor-Abschluss steht.“

„Das deutsche Diplom ist international anerkannt“, sagt auch Wolfgang Maennig, Pro-Dekan der Wirtschaftswissenschaften. „Deutschland ist Weltmarktführer im Export von High-Tech-Produkten, da kann unser Hochschulsystem nicht so schlecht sein.“ Der Master of Business Administration drohe dagegen durch Dumping-Angebote kommerzieller Fernuniversitäten in den USA entwertet zu werden.

Der goldene Mittelweg, für den auch Uni-Präsident Jürgen Lüthje in der Hochschulrektorenkonferenz kämpft, läge in der Freiwilligkeit. Alle Studierenden, die gern mit dem Bachelor abgehen wollen, können, aber müssen dies nicht tun. Aber Jörg Dräger macht bei seinen Besuchen an den Hochschulen den Anhängern dieses integrierten Modells keine Hoffnung. Außer der Hamburger Uni halte nur noch die TU Freiberg in Sachsen an diesem Modell fest. Lüthje dagegen warnt vor einem Hamburger Alleingang bei der Abschaffung des Diploms, weil die Mehrheit der großen Universitäten sich hier wohlweislich noch kein Stück bewegte.

„Sechs Semester sind absolut zu kurz. Das, was wir als berufsqualifizierend bezeichen, können wir in dieser Zeit nicht lehren, ohne uns vom universitären Niveau zu verabschieden“, sagt ein Professor, der ebenfalls kapituliert hat und pragmatisch denkt. Die Rettung wäre, einen Bachelor mit sieben oder acht Semestern Regelzeit. „Und die kann man ja auch überschreiten.“