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Archiv-Artikel

Regimebau zu Babel

Wird der Irak nach dem Krieg demokratisch – oder bekommt das Land nur einen neuen Diktator? Europa muss die USA beim Aufbau der Nachkriegsordnung beim Wort nehmen

Nach dem SturzSaddam Husseins ist eine starke islamistische Bewegung im Irak denkbar

Was wird aus dem Irak nach Saddam Hussein? Unabhängig davon, ob die USA oder die UNO die unmittelbare Nachkriegsordnung gestalten und eine Übergangsregierung installieren, scheint die Frage nach der langfristigen Zukunft des Landes offen: Wird es ein demokratisches System sein, welches die Einparteienherrschaft von Saddam Hussein ablösen wird? Oder wird es lediglich einen Diktaturwechsel geben – mit einem Marionettenregime von Washingtons Gnaden?

Auch wenn die Pläne schon in der Schublade liegen dürften: Bislang haben sich die US-Strategen dazu nur sehr vage geäußert. Schon fragt sich die irakische Opposition im Exil, die sich mit amerikanischer Hilfe zum „Irakischen Nationalkongress“ zusammengeschlossen hat, welche Rolle ihr im künftigen Irak wohl zugedacht ist. Ihr Vordenker Kanan Makiya, der den Kriegskurs der US-Regierung politisch und publizistisch unterstützt hat, zeigte sich in der Zeit jedenfalls irritiert darüber, dass US-Präsident Bush bei seinem Ultimatum an Saddam Hussein das Wörtchen „Demokratie“ gar nicht mehr erwähnte.

Sicher, es kann eigentlich nur besser werden in dem von Dekaden der Terrorherrschaft, drei mörderischen Kriegen und einem lähmenden, zwölfjährigen Embargo gebeutelten Land. Und die Voraussetzungen für eine demokratische Entwicklung sind nicht schlecht. Man sollte nicht dem paternalistischen Raunen Peter Scholl-Latours aufsitzen, der den gesamten Orient aus Gründen angeblich unüberwindlicher kultureller Differenzen für demokratieunfähig hält, oder dem ebenso eurozentrischen Blick deutscher Historiker wie Heinrich August Winkler, der eine mögliche Demokratisierung des Irak als „ahistorisch“ abschreibt (taz vom 28. 3.).

Der Ölreichtum des Landes begünstigt den Aufbau eines Prosperitätsregimes, also eines Regimes, das etwa in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur investiert. Nur leider flossen die Einnahmen zuletzt vor allem in die Taschen einer kleptokratischen Clique. In den Siebzigerjahren noch war der Irak ein reiches Land. Doch nachdem Saddam Hussein 1979 die Macht an sich riss, hat er sein Land in zwei Kriege und den wirtschaftlichen Ruin getrieben. Wenn es jetzt wieder gelingt, für Wohlstand und wirtschaftlichen Aufschwung zu sorgen, dann könnte sich eine Zivilgesellschaft herausbilden und damit die Basis für eine wirkliche Demokratisierung. Zudem hat sich trotz der einst künstlich gezogenen Grenzen eine Art irakisches Nationalgefühl entwickelt, das ein Auseinanderfallen entlang ethnischer und religiöser Trennungslinien verhindern könnte.

Das Beispiel der Kurden im Nordirak zeigt außerdem, dass Demokratie in der Region, selbst unter widrigen Umständen, grundsätzlich möglich ist. Im Windschatten der Flugverbotszone hat sich dort eine Form der demokratischen Selbstverwaltung etabliert, die trotz der historisch tief reichenden Rivalität der beiden größten kurdischen Fraktionen erstaunlich stabil ist. Nicht nur dürfte es auch unter einem neuen Regime in Bagdad bei der weit reichenden Autonomie des Nordirak bleiben. Das Beispiel der Kurden wird von manchen inzwischen als Vorbild für eine Demokratisierung des gesamten Landes gesehen.

Dennoch bleibt die Frage, ob den USA an einer Demokratisierung des Irak überhaupt gelegen ist. Wichtiger noch als Demokratie dürfte der Bush-Administration schließlich das Ziel einer dezidiert proamerikanischen Regierung in Bagdad sein. Und die Begriffe proamerikanisch und demokratisch sind im Nahen Osten keineswegs synonym. Im Gegenteil: Herrschte in weiten Teilen der arabischen Welt tatsächlich Demokratie, dann wäre es den USA nicht so leicht gefallen, sie als Aufmarschgebiet für ihren Feldzug zu missbrauchen. Es ist kein Zufall, dass sich ausgerechnet das türkische Parlament den amerikanischen Plänen verweigert hat, denen die Regierung in Ankara im Grunde schon zugestimmt hatte. Die Türkei ist eine der wenigen wirklichen Demokratien in der Region, und Demokratien sind manchmal eben unberechenbar.

Die Regierungen von Jordanien und Saudi-Arabien und den arabischen Emiraten am Golf dagegen lassen die US-Truppen von ihrem Territorium aus operieren, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung in diesen Ländern gegen den Krieg ist. In den Medien findet dieser Unmut ein Ventil, manchmal auch in den Parlamenten. Der Protest vor den Moscheen und auf der Straße aber wird niedergeknüppelt, sobald er sich auch gegen die eigenen Regierungen zu richten beginnt.

Deswegen mutet es für viele Araber so unglaubwürdig an, wenn die USA den Krieg gegen den Irak ausgerechnet mit dem Argument der Demokratie zu begründen versuchen. Warum soll gerade der Irak zum Labor der Demokratie in der arabischen Welt werden, wie es neokonservative Propagandisten fordern? Warum machen die USA nicht einen Anfang in all den Ländern der arabischen Welt, in denen sie bereits einen Fuß in der Tür haben – politisch, ökonomisch und militärisch? Warum stehen Syrien und der Iran als Nächste auf der Liste der Schurkenstaaten, wo doch die mit den USA verbündeten Regimes in Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien nicht unbedingt demokratischer sind? Um dort Demokratie und Zivilgesellschaft zu fördern, wäre kein Krieg notwendig.

Das Beispiel der Kurden im Nordirak zeigt, dass Demokratie in der Region möglich ist

Eine zu weit gehende Demokratie in diesen Ländern könnte aber, wie zu sehen war, den strategischen Interessen der USA zuwiderlaufen. Das gilt auch für den Irak: Was wäre etwa, wenn dort nach Saddam Hussein eine islamistische, antiwestliche Partei an die Macht käme, welche die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich wüsste? Mit seiner langen säkularen Tradition ist im Irak zwar kein fundamentalistischer Umsturz zu erwarten, wie er 1979 das Nachbarland Iran erschütterte. Aber das Erstarken einer islamistischen Bewegung, die im Nachkriegsirak das ideologische und politische Vakuum füllt, das der Sturz des Baath-Regimes hinterließe, ist ein denkbares Szenario. Und eines, das den USA einiges Unbehagen bereiten dürfte.

Eines ist klar: Die USA betreiben im Nahen Osten reine Machtpolitik. Mag sein, dass die Forderung nach Demokratie der Bush-Regierung dabei nur ein moralisches Mäntelchen ist, das zu bestimmten Anlässen aus dem Schrank geholt wird, um Interessenkalkül in wärmende Rhetorik zu kleiden. Jetzt, da der Krieg im vollen Gange ist, sollten die Friedensdemonstranten und die europäischen Staaten, die sich gegen die USA gestellt haben, die Zukunft der Region nicht aus den Augen verlieren.

Bei den Plänen für eine Nachkriegsordnung im Irak und der doppelzüngigen Einteilung der Region in Vasallen, denen man jedes Vergehen nachsieht, und so genannten Schurkenstaaten sollte man die US-Administration künftig beim Wort nehmen und sie an die Unteilbarkeit jener Werte erinnern, die sie so gern im Mund führt. Sonst müssen sich die Kriegsgegner vorwerfen lassen, dass ihnen der Irak und die Demokratisierung der arabischen Welt schlichtweg egal sind. DANIEL BAX