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„Das bringt 30.000 Arbeitslose“

Es liegt nicht am Krieg, sondern an der schwachen Konjunktur, dass die Verhandlungen über mehr Liberalisierung stocken. WTO-Experte Richard Senti über die Zukunft der Welthandelsorganisation in wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten

Interview KATHARINA KOUFEN

Beim WTO-Treffen vor eineinhalb Jahren in Doha hat man sich auf eine neue Handelsrunde geeinigt. Erst Ende März aber sind zwei wichtige Fristen verstrichen, ohne dass es zu einer Einigung gekommen wäre. Platzt die Doha-Runde?

Das Vorhaben, die Handelsrunde bis Ende 2004 erfolgreich abzuschließen, war von Anfang an eine Illusion. Genauso das Datum im September, wenn in Cancun das nächste WTO-Ministertreffen stattfinden soll. Die EU etwa kann nicht über die Beseitigung der Exportsubventionen im Agrarbereich verhandeln, bevor sie sieht, wie die Osterweiterung über die Bühne geht. Wichtig ist aber nicht, ob man in einem oder in zwei Jahren zu einem Ergebnis kommt, sondern ob man das überhaupt schafft.

Und – wird man das?

Schlimmstenfalls werden irgendwelche Scheinergebnisse präsentiert: Man könnte die Streitschlichtung etwas reformieren, man kann das Trips-Abkommen über den Patentschutz etwas anders formulieren.

Wird die WTO damit nicht ad absurdum geführt?

Ja, aber bei dem momentanen unsicheren Umfeld wird es schwierig sein, etwas bewegen zu können. Zurzeit geht es nur darum, das Erreichte zu halten. Die Luft ist raus.

Auch langfristig?

Wenn sich die Wirtschaft etwas erholt hat, kann man den Protektionismus wieder etwas abbauen. Aber wie wollen Sie heute in Deutschland oder Frankreich die Textilbranche einem größeren Wettbewerb aussetzen? Das bringt 20 bis 30.000 Arbeitslose.

In einigen Medien wird bereits darüber spekuliert, dass die WTO auseinander platzt.

Nein, dazu ist die Industrie in den USA und in der EU zu sehr an einem reibungslosen Handel interessiert, als dass sie so etwas geschehen lassen würde.

In anderen Ländern sind die Gewerkschaften stark …

… stimmt, deshalb müsste man in der WTO stärker die sozialen Aspekte berücksichtigen, ähnlich, wie in Deutschland nach dem Krieg das Soziale als zweite Phase der Marktwirtschaft eingeleitet wurde.

Wie müsste man das tun?

Man müsste Kriterien wie Umweltbelange und Kinderarbeit stärker einbeziehen.

Der Krieg ohne UN-Mandat ist eine Abkehr von multilateralen Vereinbarungen. Wird eine solche Abkehr auch auf wirtschaftlicher Ebene – etwa in der WTO – stattfinden?

Es hat auch früher Situationen gegeben, in denen starke Marktpartner ihre eigenen Wege gegangen sind. Die haben es sich geleistet, Empfehlungen und Streitschlichtungsentscheide nicht zu beachten – zum Beispiel beim Streit zwischen EU und USA um Hormonfleisch.

Oder werden die USA vielmehr versuchen, ihr Image als „böser Alleingänger“ durch besonders kooperatives Erhalten in der WTO wettzumachen?

Das halte ich für Wunschdenken. Die USA werden, wie die anderen Handelspartner auch, das herauszuholen versuchen, was binnenpolitisch opportun ist. Der Druck der business community auf die Regierung ist in allen Ländern zu groß, als dass man in sich kehren und das Weltgewissen fragen würde.

Wird die Doha wie angekündigt eine Entwicklungsrunde?

Die Doha-Runde ist ein politisches Ereignis nach dem 11. September. Da war man gemeinsam gegen Terrorismus, hat den Entwicklungsländern relativ große verbale Versprechen gemacht – aber passiert ist nicht viel. Ich habe immer die Entwürfe der Doha-Erklärung verfolgt. Der erste Entwurf entstand schon im Sommer 2001. Da konnte man sehen, wie ab dem 11. September das Wort „Entwicklungsländer“ darüber gestreut wurde. Am Schluss stand fast in jedem Satz „unter Berücksichtigung der Entwicklungsländer“.

Dürfen die Entwicklungsländer, die in der „Koalition der Willigen“ sind, hoffen, in der WTO belohnt zu werden?

Ich glaube kaum. Am Schluss wird doch über die wirtschaftlichen Interessen gesprochen.

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