: Fette Piratenbeute
Die Entführung eines Öltankers weit vor der somalischen Küste stellt eine neue Dimension dar
AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT
Der 330 Meter lange Riesentanker „Sirius Star“ ist eines der größten und modernsten Schiffe der Welt. Erst vor wenigen Monaten lief er vom Stapel und galt als absolut piratensicher. Selbst wenn der Tanker wie auf seiner jüngsten Fahrt mit voller Ladung tief im Wasser liegt, befindet sich die Reling immer noch so weit über dem Meeresspiegel wie ein mittleres Hochhaus. Noch nie ist ein Schiff dieser Größe Opfer von Piraten geworden. Doch mehr als 1.000 Kilometer von Somalias Küste entfernt, in Gewässern, wo zum ersten Mal somalische Piraten gesichtet wurden, griff eine Bande nun zu und machte den Fang ihres Lebens: An Bord der „Sirius Star“ befinden sich zwei Millionen Barrel Öl, geschätzter Wert: mehr als 70 Millionen Euro. „Die haben den Jackpot geknackt“, sagt Andrew Mwangura von Kenias Seafarer Association, der die Piratenüberfälle aufmerksam beobachtet.
Selbst der ranghöchste US-Militär in der Region, Marineadmiral Mike Mullen, ist beeindruckt: „Die sind wirklich gut. Gut bewaffnet und taktisch geschickt.“
Vermutlich von einem ebenfalls gekaperten nigerianischen Frachter aus gelang es den Piraten, an Bord des Tankers zu kommen. „Und wenn die erst mal drauf sind, kann man eh nichts mehr tun – dann haben sie ja die Geiseln in ihrer Gewalt“, sagt Mullen. Die 25 Besatzungsmitglieder stammen nach Angaben der saudischen Eigner aus Großbritannien, Kroatien, Polen, den Philippinen und Saudi-Arabien.
Das US-Militär verfolgte zwar den Weg der „Sirius Star“ an die nordsomalische Küste am Dienstag, ein militärisches Eingreifen wurde aber nicht in Erwägung gezogen, sagte ein Armeesprecher in Dschibuti, wo die US-Marine ihren Stützpunkt hat. Doch es scheint kaum vorstellbar, dass die USA die neue Dimension der Piraterie einfach hinnehmen werden. Nicht nur, weil das Öl an Bord der „Sirius Star“ für die USA bestimmt war. Die anhaltenden Überfälle auf einer der bedeutendsten Schifffahrtsrouten der Welt, auf der jährlich 20.000 Schiffe zwischen Asien, Europa und den USA unterwegs sind, gefährden das Rückgrat der kriselnden Weltwirtschaft.
Derzeit befinden sich ein Dutzend Schiffe und 250 Besatzungsmitglieder in der Hand von somalischen Piraten. Nach dem Überfall auf die „Sirius Star“ gilt es als noch wahrscheinlicher, dass große Reedereien den Golf von Aden meiden und im großen Bogen die Alternativroute um das Kap der Guten Hoffnung einschlagen. Das würde jedoch drei Wochen mehr Reisezeit und damit eine Verteuerung so gut wie aller auf der Strecke bewegten Importgüter bedeuten.
Doch auch das bisher deutlichste Zeichen eines gemeinsamen Vorgehens gegen die Piraten, drei Kriegsschiffe unter Nato-Befehl, denen im Dezember eine EU-Mission folgen soll, haben bisher das Geschäft mit der Piraterie nicht stoppen können. Zu groß ist die Anziehungskraft der Boombranche im ansonsten in Schutt und Asche liegenden Somalia, das seit 1991 keine Regierung, keine Polizei und auch keine Küstenwache mehr hat. Wo noch vor zwei Jahren allenfalls armselige Fischerhütten standen, bauen die neureichen Piraten heute Villen. Vor den Baustellen parken Geländewagen der Luxusklasse. Kein anderes Geschäft ist derzeit so lukrativ, und die Gefahr schreckt im bürgerkriegsgeschüttelten Somalia niemanden. Im semiautonomen Puntland ist die Piraterie so zum mit Abstand wichtigsten Wirtschaftssektor avanciert. Fünfzig Millionen Dollar Lösegeld, so die Prognose allein für dieses Jahr, sind doppelt so viel wie der Etat der puntländischen Regierung.
In Piratennestern wie Eyl, das Piraten schon seit Jahren als Unterschlupf dient, hat sich eine rege Dienstleistungsindustrie entwickelt: Sobald die eigentlichen Piraten – selten mehr als zehn Mann – ein neues Schiff gekapert haben, läuft eine wohl geölte Maschinerie an, berichtet ein somalischer Journalist, der nur Mohammed genannt werden möchte. „Männer ziehen Anzüge und schicke Schuhe an, werfen Laptops in ihre Landcruiser und fahren zum Hafen, um auf die ankommende Besatzung zu warten.“ Die einen erklären sich flugs zu Verhandlungsführern, andere zu Finanzverwaltern. Im Dorf warten Köche darauf, das lukrative Catering für die Geiseln zu übernehmen. „Wer schießen kann, übernimmt Wache: gut 50 auf dem Schiff, noch mal 50 davor.“ Jeder Helfer wird entlohnt, sobald das Lösegeld fließt.
Doch auch die Piraterie hat, wie alles in Somalia, einen politischen Hintergrund. Jedes Lager verdient mit am Millionengeschäft: Harardere, wo die „Sirius Star“ am Dienstag angeblich festmachte, ist das Territorium des berüchtigten Warlords Mohammed Abdi Hassan Afweyne, der sich in Interviews gerne mit seinen erfolgreichen Schiffsentführungen brüstet. Im Hauptberuf rüstet Afweyne befreundete Warlords wie Hussein Farah Aydid mit Waffen aus Eritrea auf, die gegen die Übergangsregierung und ihre äthiopischen Verbündeten eingesetzt werden. Aufseiten der Übergangsregierung von Präsident Abdullahi Yusuf, der aus Puntland stammt, koordiniert der Geschäftsmann Mohammed Jama Furuh das Geschäft mit der Piraterie. Von den Islamisten verjagt, die mittlerweile weite Teile Somalias zurückerobert haben, baute Yusuf den Geschäftsmann Furuh wieder auf.
Die Millionen aus den Lösegeldern haben zudem eine neue, dritte Kraft aufgebaut, deren politische Zugehörigkeit vorerst noch unklar ist. Doch fest steht: Mit ihrem Geld und den vermutlich modernsten Waffen am Horn von Afrika ist ihr Einfluss groß. Und mit jeder Entführung wächst er weiter.