: San Diego auf Tauchstation
aus San Diego KIRSTEN GRIESHABER
Seit die TV-Stationen Bilder von den ersten gefallenen US-Soldaten gezeigt haben, stellt Melissa Medina ihren Fernseher nicht mehr an, wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kommt. „Ich bekomme Bauchschmerzen, wenn ich die Fotos von den getöteten Männern und ihren Familien sehe“, sagt sie.
Melissa Medina ist 21 Jahre alt, sie lebt in San Diego im Süden Kaliforniens. Von den Todesnachrichten fühlt sie sich unmittelbar betroffen. Mark, ihr zwei Jahre älterer Mann, ist im Krieg. Ein Feuerwehrmann auf dem Zerstörer Cleveland im Persischen Golf. Das ist weit von den umkämpften Gebieten entfernt, aber die ersten US-Soldaten starben auch nicht im Irak, sondern bei einem Hubschrauberunfall in Kuwait. Das war am zweiten Tag des Krieges, die vier Männer kamen aus San Diego. Auch die ersten beiden im Kampf getöteten Soldaten stammten aus der Stadt. Melissa Medina sagt: „Wer so jung ist, sollte doch leben, nicht sterben.“
55.000 der ingsgesamt 250.000 US-Soldaten, die in die Golfregion geschickt wurden, kommen aus San Diego. So war es nur eine Frage der Zeit, dass die Nachricht von den ersten gefallenen Soldaten die Stadt erreichen würde und die Zeitungen Fotos von fahnenumhüllten Särgen, trauernden Ehefrauen und salutierenden Halbwaisen drucken würden. Es sind jene Bilder, vor denen es Melissa Medina graut. Sie meidet sie.
„Ich bin jedes Mal traurig, wenn ich die aktuellen Todeszahlen lese, denn ich lebe selbst jeden Tag mit der Angst, dass meinem Mann etwas passieren könnte, auch wenn er auf dem Schiff noch relativ sicher ist,“ sagt sie. „Aber andererseits ist dieser Krieg wirklich notwendig. Jemand muss Saddam Hussein stoppen. Und wir Amerikaner sind die einzige Nation, die das Geld, die Macht und die Waffen hat, um das irakische Volk zu befreien.“
So bemüht sie sich, wie gewohnt ihrem Alltag nachzugehen. Die junge Frau mit den langen braunen Haaren und den dunklen Augen hat im Alter von 18 Jahren ihre achtwöchige Ausbildung zur Maklerin absolviert, nun arbeitet sie für eine Immobilienfirma in Coronado, einer kleinen Halbinsel in der Bucht von San Diego. Coronado ist eine der exklusivsten Wohngegenden der USA. Medinas Büro liegt zwischen Palmen und Blumenrabatten an der Hauptgeschäftsstraße von Coronado, nur ein paar Meter vom Strand entfernt.
In ihrer Mittagspause geht sie ans Meer. Es stört sie nicht, dass das Rauschen des Pazifiks alle paar Minuten vom knatternden Hubschrauberlärm der Black-Hawk-Helikopter übertönt wird. Eine Gruppe von 30 Marines, die in kurzen Hosen, olivgrünen T-Shirts und schweren Stiefeln durch das seichte Wasser joggen, erhält Applaus von einigen Badegästen. Die Soldaten haben den charakteristischen Haarschnitt, an den Seiten abrasiert, oben auf dem Kopf einen Zentimeter lang. Sie trainieren jeden Tag am Strand, erzählt Medina. „Aber sonst ist San Diego wie ausgestorben. Die Touristen bleiben aus Angst vor Terroranschlägen lieber zu Hause, und unsere Männer sind alle im Krieg.“
Das Militär und San Diego sind so stark miteinander verwachsen, dass viele in der Stadt mit Tod und Angst konfrontiert werden, aber eben auch so stark, dass hier Zweifel an Sinn und Notwendigkeit des Krieges nicht so leicht aufkommen. In Friedenszeiten arbeiten insgesamt 105.000 Militärangehörige auf den verschiedenen Stützpunkten in und um die Stadt. Fast 35.000 Marines leben und trainieren in Camp Pendleton, nördlich von San Diego. Die Angehörigen der US Navy arbeiten zumeist auf den über 50 Kriegsschiffen, die normalerweise im Hafen von San Diego liegen und jetzt zum größten Teil im Golfkrieg eingesetzt werden. So wie der Zerstörer von Mark Medina.
Von den etwa drei Millionen Einwohnern im Großraum San Diego sind viele pensionierte Militärs, die wegen des sonnigen Wetters auch nach Beendigung ihres Arbeitslebens in Südkalifornien geblieben sind. Ein Drittel der Einwohner stammt aus Lateinamerika, San Diego liegt direkt an der Grenze zu Mexiko. Auch die Einwanderer profitieren von dem Geld, das die Streitkräfte in der Gegend ausgeben, aber den Krieg unterstützen sie weniger geschlossen.
In Coronado, wo das Büro von Melissa Medina liegt, gibt es zwei Navy-Stützpunkte mit Hubschrauberlandeplätzen, U-Boot-Hangars und Schiffsliegeplätzen. Seit Kriegsbeginn hängen vor fast jedem Haus US-Flaggen. Melissa Medina versteht nicht, warum man gegen den Krieg sein kann.
So geht es auch Sergeant John Zimmer. Der 24-Jährige arbeitet in der Öffentlichkeitsabteilung der Marine Corps Air Station Miramar, ein paar Kilometer nördlich von San Diego. Zu dem Militärstützpunkt gehört der größte Marines-Flughafen der USA, hier leben rund 8.000 Familien, deren Angehörige im Irakkrieg kämpfen. Opfer gebe es in Miramar bislang noch nicht zu beklagen, sagt Zimmer. „Mehrheitlich geht es den Familien hier sehr gut“, erklärt er, „wir sind ja schließlich daran gewöhnt, in anderen Ländern zu kämpfen.“
Der Sergeant ist seit viereinhalb Jahren bei den Marines. Er trägt eine Uniform mit grün-bräunlichen Tarnfarben und einem Rastermuster. Sein Vater stamme aus Deutschland, sagt Zimmer. Er selbst spreche kein Deutsch, nur ein paar Schimpfwörter, sagt er grinsend. Der Farmerjunge ist auf einer Ranch in Oklahoma aufgewachsen, als es ihm dort zu eng wurde, verpflichtete er sich bei den Marines und wurde nach San Diego geschickt.
Als er von seiner Jugend erzählt, ist es das einzige Mal, dass er persönlich wird. Sonst gibt er in knappen Sätzen die offizielle Position der Marines wieder, während er seinen Ford über das riesige Areal der Base steuert. Er berichtet von der vorbildlichen Fürsorge der Marines für die Familien der Kämpfer. In Anlehnung an die Operation Enduring Freedom – unter diesem Namen führen die USA ihre Kriege nach dem 11. September – habe man in Miramar die Operation Enduring Families gegründet. Rund um die Uhr können Familienangehörige psychologische Telefonberatung in Anspruch nehmen. Zur Ablenkung ist ein zusätzliches Entertainmentprogramm eingerichtet worden, jede Woche gibt es ein neues Kinoangebot, zurzeit laufen „Chicken Run“ und „Shanghai Nights“, eine Actionkomödie mit Jackie Chan.
John Zimmer erzählt, dass er sich freut über die Solidarität der Einwohner von San Diego. Alle wollten die Jungs im Irak unterstützen und so habe man auf der Base ein Spendenzentrum eingerichtet. „Jeden Tag kriegen wir kistenweise Süßigkeiten, Taucherbrillen zum Schutz gegen die irakischen Sandstürme, Sonnenblumenkerne, Erfrischungstücher und Kartenspiele.“
Zu der Frage, wie die Reaktion auf die ersten gefallenen Soldaten gewesen sei, will er keinen Kommentar abgeben. Nur so viel sagt er: „Das ist Teil unseres Jobs, wir haben gelernt, damit umzugehen.“ Wer darüber hinaus Hilfe brauche, könne sich ans Familienkrisenzentrum wenden oder an den Militärpfarrer.
John Zimmer fährt vorbei an riesigen Eukalyptusbäumen, die den Straßenrand säumen, und deutet hinüber zu einem Einkaufszentrum, dass in braunen Deckfarben gehalten ist. Einen Juwelier gibt es dort, eine Hertz-Autovermietung, einen Supermarkt und sogar zwei McDonald’s – bis auf das gelbe Logo sind sie ebenfalls in Wüstentarnfarben gestrichen. Er sagt. „Wir haben hier alles, was wir brauchen, und sind auf niemanden angewiesen.“