: Keine Reederei, sondern Rederei
Die Präsidenten der deutschen Sportfachverbände beteuern, dass die fünf Olympiabewerber für 2012 –Hamburg, Düsseldorf, Leipzig, Frankfurt und Stuttgart – beim Werben um ihre heiß begehrten Stimmen „nie unmoralisch“ vorgegangen seien
aus München FRANK KETTERER
Klaus Kotter ist es gewohnt, mit Zahlen zu hantieren, schließlich war er einmal Chef seines eigenen Steuerberater-Büros. Vielleicht hat sich der Präsident des Deutschen Bob- und Schlittensportverbandes auch deshalb hingesetzt, zu Hause im idyllischen Prien am Chiemsee, und ein bisschen herumgerechnet, aus alter Gewohnheit. Gelohnt hat es sich auf jeden Fall, als Kotter zu Ende addiert hatte, war doch ganz schön was zusammengekommen, als da wären: 34 Reisen über 52 Tage für knapp 16.000 Euro. So lange hätte es gedauert, sagt Kotter, wenn er überall hingefahren wäre, wohin man ihn zuletzt eingeladen hatte; so viel hätte es gekostet. „Das ist ein Zeichen, wie die arbeiten“, sagt der oberste deutsche Schlittenfahrer.
Die – damit meint Kotter jene fünf deutschen Städte, die sich am Samstag in München um die Austragung der Olympischen Spiele 2012 bewerben. Ihre Arbeitsweise ist – mal mehr, mal weniger ausgeprägt – schnell umschrieben: um Stimmen werben auf Teufel komm raus! Schließlich reden Kotter und seine Präsidentenkollegen aus den 32 olympischen Sportfachverbänden ein gewichtiges Wörtchen mit bei der Nominierung jener Stadt, die ins internationale Ringen um die Ringe geschickt wird. Jeder von ihnen verfügt über 3 Stimmen, die nicht gesplittet werden können; macht 96 der insgesamt 137 Stimmen. Das sind knapp 70 Prozent.
Da konnte es gar nicht ausbleiben, dass die Verbandsfürstinnen und -fürsten schon im Vorfeld heftig umgarnt wurden. „So begehrt war ich noch nie“, gibt beispielsweise Sylvia Schenk zu, Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR). Niedergeschlagen hat sich das in so mancher Einladung zu Sportveranstaltungen, aber auch zu Ausstellungseröffnungen und weiteren außersportlichen Ereignissen. „Da war querbeet so ziemlich alles mit dabei“, sagt Schenk. Auch Klaus Müller-Ott, Chef der Deutschen Triathlon Union (DTU), hat sich bisweilen gewundert, wenn die ein oder andere Offerte für „kulinarischen Spezialitäten und andere nette Dinge“ ins Haus geflattert kam. Angenommen habe er diese, selbstredend, nicht. „Ich weiß nicht, was solche Dinge mit Olympia zu tun haben“, sagt Müller-Ott, auch von ausufernder Reisetätigkeit hat er abgesehen. „Präsidenten-Tourismus“ nennt er das spitz. Er selbst hat lediglich drei der fünf Kandidaten besucht; auch Kollegin Schenk will damit sehr behutsam umgegangen sein.
Ganz so genügsam beim Olympischen Sightseeing waren freilich nicht alle Verbandsoberen. Einer, der die fünf Bewerber gleich zweimal „abgereist“ hat, ist Klaus Schormann, Präsident des Deutschen wie Internationalen Verbandes für Modernen Fünfkampf. Der Berufsfunktionär – von Hause aus Lehrer, vom Land Hessen derzeit allerdings zur Beratung der Frankfurter Bewerbung freigestellt – will dabei eine „breite Palette abgeklopft“ und den Städten „eine Menge Tipps“ gegeben haben. „Die waren alle froh, dass ich diverse Dinge mit ihnen durchgegangen bin“, erzählt Schormann, meist sei das in „sehr effektiven Arbeitsrunden“ vonstatten gegangen, nur hin und wieder sei man „auch mal irgendwo um die Ecke essen gegangen“. Finanziert habe Schormann, der wegen eigener Befangenheit seinen Vizepräsidenten abstimmen lassen möchte, seinen ganz persönlichen Städtecheck mit den 2.500 Euro, die das NOK zu eben diesem Zweck den Verbänden zur Verfügung gestellt hat – und aus der Verbandskasse. „Es gab nicht eine Einladung, bei der auch die Reise- und Unterbringungskosten übernommen wurden“, beteuert er. Offenbar hat man seinem Kollegen von der Triathlon-Zunft da besser behandelt. „Sicherlich gab es Pakete mit Rundumversorgung“, sagt Müller-Ott.
Diese, fügt Rad-Präsidentin Sylvia Schenk an, seien allerdings „nie unmoralisch“ gewesen, sondern stets im Rahmen des „allgemein Üblichen“. „Da wird viel dramatisiert“, sagt die Frankfurterin. Bob- und Schlittenkollege Kotter kann diesbezüglich nur zustimmen. Dass beispielsweise eine Hamburger Reederei Einladungen für Reisen auf einem Luxusdampfer verschickt habe, verweist er energisch ins Reich der Fabel. „Das war keine Reederei, das ist Rederei“, sagt Kotter. Auch Roland Geggus, Präsident des Deutschen Basketball-Bundes, kann sich nicht vorstellen, dass ein Bewerber wirklich so offensiv zu Werke gegangen ist. „Das wäre nur kontraproduktiv“, glaubt Geggus.
Er hat die fünf Kandidaten in einer dreitägigen Inspektionstour unter die Lupe genommen und seine Reiseeindrücke mit seinem elfköpfigen Präsidium „ausführlich diskutiert“. Daraus entstanden ist ein klarer Wahlauftrag für den Präsidenten, alles andere hätte ein „Gschmäckle“ gehabt, schließlich sitzt Geggus im Kuratorium der Stuttgarter Bewerbung. Dass der Präsident deswegen nun gegen seine Überzeugung stimmen muss, steht dennoch nicht zu befürchten. „Ich schätze, dass Hamburg und Stuttgart am längsten im Rennen sein werden“, gibt er bekannt.
So konkret wie Geggus äußern sich freilich nicht viele vor der samstäglichen Wahl, meist sind es nur Ahnungen – und jede Menge Kaffeesatzleserei. So werden die Stimmen von Klaus Müller-Ott allenthalben für Hamburg vorgebucht. Und das nicht nur, weil der DTU-Boss gleich um die Ecke wohnt, sondern letzten Sommer in der Hansestadt den ersten deutschen Triathlon-Weltcup auf deutschem Boden abfeiern durfte. Doch selbst wenn dies wirklich Müller-Otts Wahlverhalten beeinflussen sollte, könnte sich der Mediziner immer noch darauf berufen, mit dem Ergebnis der NOK-Evaluierungskomission d’accord gegangen zu sein. Die hatte die Hansestadt auf Platz eins gesetzt.
Ulrich Feldhoff, Präsident des in Duisburg ansässigen Kanuverbandes sowie Vize des Deutschen Sportbundes (DSB), hat solche Argumente nicht bei der Hand. Bewerber Düsseldorf landete beim NOK-Test auf Rang vier, nur Stuttgart schnitt schlechter ab. Dass Feldhoff – auf dem Feld der Sportpolitik äußerst versiert – dennoch emsig Stimmenfang für die Region an Rhein und Ruhr betrieb, war landsmannschaftlicher Verbundenheit geschuldet sein – oder eigenem Machtinteresse. 20 der 32 Fachverbände, so tönte es schon vor Wochen, habe Feldhoff bereits auf seine und somit Düsseldorfs Seite gebracht – immerhin 60 Stimmen. Den fehlenden Rest wollte der Düsseldorf-Lobbyist am gestrigen Vorabend der Wahl organisieren, so jedenfalls hat er es vorlaut in der Zeit hinausposaunt. Demnach müssten gestern Abend in München letzte „Abstimmungsgespräche“ stattgefunden haben, „um mit einer deutlichen Mehrheit zu einem Kandidaten zu kommen. Wie bei der Wahl des neuen NOK-Präsidenten. Auch da ist die Entscheidung am Vorabend gefallen“. Dem Vernehmen nach mit Feldhoff als einem der entscheidenden Strippenzieher.
Allerdings könnte der all zu unverblümte Stimmenfang für Düsseldorf auf den Kanu-Präsidenten wie ein Bumerang zurückfallen. Längst regt sich nämlich Widerstand gegen Feldhoffs Wahlplanspiele, vor allem außerhalb von NRW. „Es ist ja bekannt, dass er Stimmen sammelt“, sagt Schlitten-Präsident Kotter, auch Sylvia Schenk hat das missbilligend registriert. „Ich mache bei Feldhoffs Kungelei nicht mit“, sagt die BDR-Präsidentin.
Dass Vorfreude nicht immer die schönste Freude sein muss, könnte auch Hermann Winkler, Präsident des Landessportbundes Sachens und emsiger Werber für Leipzig, heute erfahren. Anfang März will Winkler nach einer Sportlergala in Riesa bis spät in die Nacht mit Curling-Präsidentin Juliane Hummelt in einer Bar eine Karaoke-Version von „Griechischer Wein“ zum Besten gegeben haben. „Die stimmt jetzt garantiert für uns“, soll er sich – so stand es im Spiegel – danach sicher gewesen sein, was Frau Hummelt gar nicht begeistert hat. „Erstens habe ich noch nie im Leben ‚Griechischer Wein‘ gesungen“, sagt die Curling-Präsidentin. „Und zweitens stimme ich jetzt garantiert nicht für Leipzig.“