: Krise gebannt
Bayer Leverkusen steht vor der dritten Niederlage in der Rückrunde – und entgeht dieser doch noch mit Glück
HANNOVER taz ■ Beim Blick auf das sanft angedeutete Katastrophenszenario bei Bayer Leverkusen unter der Woche wird sich so mancher die Augen gerieben haben: Ja, doch, sie hatten zwei Spiele hintereinander verloren, und das auch noch gegen Frankfurt und Freiburg, zudem fand sich im Statistikspeicher nur ein Sieg aus den letzten acht Spielen. Aber: Vier Punkte von einem Champions-League-Platz entfernt, zehn Spieler aus dem Kader in ihr jeweiliges Nationalteam berufen – da fragen sich zwei Drittel der Bundesligisten: Krise? Welche Krise?
Tatsache ist: Eine zweite Saison ohne Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb würde das Management ganz und gar nicht amüsieren. Man käme in zwar luxuriös anmutende, aber echte Schwierigkeiten. Ob diese „Diskussionen“ auf die Spieler Einfluss gehabt hätten, wurde Ramelow nach dem 2:2 gegen Hannover 96 gefragt. „Ich glaube nicht, ich kann’s mir nicht vorstellen“, zweifelte er. „Wir wollten uns auf Fußball konzentrieren.“ Jens Novotny reichte die Frage gleich weiter: „Das ist was für Spekulanten.“ Auch Manager Calmund war mit dem Ergebnis „zufrieden“. Denn: „Wir waren ja schon tot.“
Die gewohnt drastische Formulierung fasste die Begegnung bis zur 65. Minute zusammen. Von Beginn an schien sie Leverkusen als Gelegenheit zur internen Konsolidierung zu betrachten, die aber nicht so recht gelingen wollte, während Hannover 96 trotz anfänglicher Zurückhaltung das Geschehen gut organisiert kontrollierte und einige Chancen herausspielte. Die Abwehr mit dem illustren Neuzugang Xavier als ein Binnenglied der Viererkette hatte ihrerseits nicht eine einzige seitens der Leverkusener zugelassen – jedenfalls bis zur 40. Minute, als der herausragende Ziegler einen Fernschuss von Ramelow gerade noch ablenken konnte. Direkt im Anschluss an die Ecke wuchteten die Hannoveraner den Ball zügig in die andere Hälfte, wo Placente ihn per Kopf zurück zu Nowotny und außer Gefahr bringen wollte, Clint Mathis jedoch dazwischenblitzte und sich auf den Weg zum 1:0 machte.
Drei Minuten nach der Pause kam dann auch schon das 2:0 durch Konstantinides, der einen Prachtschuss von wiederum Mathis aus kurzer Distanz unhaltbar ins Tor lenkte. Die Angelegenheit war entschieden, abgeschlossen und verkündet: „Absolut nichts deutete darauf hin“, so Hannovers Trainer Ralf Rangnick später, „dass das Spiel noch kippen könnte.“ Nicht nur er hatte das so empfunden.
Dann, in der 65. Minute, passierte etwas, was bei Hannover 96 so oft passiert, dass man der Mannschaft eine wild card für die Erste Liga reservieren sollte, weil sie so oder so immer für eine aufregende, vollkommen unvorhersehbare Dramaturgie gut ist: Einen weiten Freistoß köpfte Lucio von der Auslinie zurück auf Berbatov, der in diesem Fall dem Beinamen „Chancentod“ entgehen konnte. Und schon drei Minuten später sorgte Cherundolo für den Ausgleich, indem er vor dem schussbereiten Kollegen Ziegler sinnfrei den Ball wegdrosch, direkt zum eingewechselten Franca, der sicher aus der Ferne verwandelte. Nach allem, was darauf folgte, hätte sich selbst der fanatischste 96-Fan über eine Niederlage seiner Roten nicht gewundert.
„So verrückt kann Fußball sein“, setzte Bayer-Trainer Klaus Augenthaler nachher zu ungewohnt wortreichen Ausführungen an. „Normal ist man nach so einem 0:2 weg, und dann hätte sich 96 nicht beschweren können, wenn sie noch 2:4 oder 2:5 verloren hätten.“ In der Tat mussten zweimal die Latte und einmal Vinicius weitere Tore von Leverkusen verhindern. Das Ergebnis sei „in erster Linie zweitrangig“, bilanzierte deshalb Augenthaler. Mit dem Remis hat sich für Bayer der Abstand auf einen Champions-League-Platz auf drei Punkte verringert. So einfach ist das manchmal: Ein bisschen Theaterdonner, ein bisschen Glück und ein bisschen Hilfe von einem Gegner, der eigentlich alles im Griff hat, und die Wende ist zum Greifen nah.
DIETRICH ZUR NEDDEN