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Archiv-Artikel

Spaziergang für den Frieden

Rund 20.000 Menschen haben am Wochenende für den Frieden demonstriert. Man gibt sich weiter engagiert bis kämpferisch, ist aber froh, dass der Irakkrieg wohl vorbei ist, und aalt sich in der Sonne

von CLAUDIUS PRÖSSER

Der Kuchenpanzer schmeckt vorzüglich. Die Stücke, die aus seiner Außenhaut gesäbelt werden, sind von einer zuckrigen Hülle umgeben. Selbst Polizisten kosten davon.

Das konditorische Kriegsgerät ist der originellste Einfall auf der von der „Achse des Friedens“ angemeldeten Friedensdemonstration am Samstag. Vom Lützowplatz zum Brandenburger Tor haben ihn Greenpeace-Aktivisten geschoben und gegen eine Spende aufessen – oder besser abrüsten – lassen. Mit dem Geld wird ein Kinderkrankenhaus in Basra unterstützt.

Als „Großdemo“ angekündigt, wird dies wohl der vorläufig letzte Straßenmarsch gegen den Irakkrieg sein. Mit von den Organisatoren auf 20.000, von der Polizei auf 12.000 geschätzten Teilnehmern fällt die Beteiligung bescheiden aus. Trotzdem: Die Stimmung ist gut, man diskutiert angeregt, die Sonne tut ein Übriges. Dass die italienschen „Pace“-Fahnen inzwischen Kultstatus genießen, macht die Menge ausnehmend bunt.

Zorniger sind die Aufschriften der Plakate: „Shame on you, Mr. Bush“, zitiert eines Michael Moore, „Bush und Saddam nach Den Haag“ wird gefordert. Auch die Rhetorik der Auftaktredner kontrastiert mit der entspannten Atmosphäre. Fred Klinger von Pax Christi, bis vor zwei Wochen als „Human Shield“ in Bagdad, ruft dazu auf, „nicht mehr die transatlantischen Brückenköpfe der Mordmaschinerie zu dulden“. Dass angesichts der chaotischen Zustände im Irak die Forderung nach sofortigem Truppenabzug nicht mehr überzeugt, ist den meisten Demonstranten bewusst. „Friede statt Besatzung“ heißt daher die Devise.

Als die Masse in Richtung Siegessäule aufbricht, bleibt es ungewohnt ruhig. Wenige Fäuste recken sich gegen den Sitz von Angela Merkel. Das Ganze ähnelt einem vorgezogenen Osterspaziergang. Für Jens-Peter Steffen, Pressesprecher der „Achse des Friedens“, ist die geringe Beteiligung angesichts der komplexen Situation im Irak kein Grund zur Resignation. Er freue sich vor allem, dass neue Gesichter die Friedensbewegung mittragen.

Christian Ströbele ist trotzdem wieder dabei. Im Schlepptau des grünen Bundestagsabgeordneten agitieren zwei ältere Männer mit Lederhüten – gegen den Großflughafen. Man wohne direkt in der Einflugschneise. Die SPD habe versagt, die PDS habe versagt, „uns hilft nur noch ‚ne Panzerfaust, sach ick ma“. Ob Ströbele nicht etwas tun könne? Der balanciert sichtlich genervt auf seinem Fahrrad. Die Beteiligung Jugendlicher habe stark nachgelassen, gibt er später zu Protokoll, aber das sei auch eine verständliche Unerfahrenheit mit dem langen Atem. Manche Schüler seien frustriert, dass ihr Engagement den Krieg nicht gestoppt habe. Dass die Beteiligung nachgelassen habe, weil viele über die Richtigkeit ihres Protests ins Grübeln geraten seien, glaubt Ströbele nicht. Viele blieben einfach erleichtert zu Hause, weil es erst einmal vorbei sei. Eine junge Türkin sieht das anders: „Diese Jubelszenen aus Bagdad, das sind doch die Bilder, die der Westen sehen will, um ruhig zu schlafen“, sagt sie bitter: „Das ist kein Krieg, das ist ein Verbrechen.“

Die Kulisse der Abschlusskundgebung ist angesichts der Teilnehmerzahl sichtlich zu groß geraten. Von zwei gewaltigen Hydraulikkränen hängen Lautsprechertürme, groß genug, um eine halbe Million zu beschallen. Unterhalb der Bühne, auf der gerade Friedensforscher Otfried Nassauer spricht, weiß Rainer Bienefeld nicht, wem er die Unterschriften in die Hand drücken soll, die er gegen den Krieg gesammelt hat. Der 37-jährige Imker ist fünf Wochen lang fastend und zu Fuß vom Bodensee nach Berlin gelaufen. Unterwegs hat er vom Kriegsbeginn und später von der Einnahme Bagdads erfahren, hat „jetzt erst recht“ gedacht und irgendwann beschlossen, den Marsch nicht wie geplant bis Ostern auszudehnen. Hier hat er seine Familie getroffen, vor der Heimfahrt geht es noch einmal zum Wittstocker Bombodrom. Im Hintergrund löst sich die Menge langsam auf. Es ist Frühling.