: Wenn der Schmackes fehlt
Das Kellerduell der Bundesliga gerät zum Strafnachmittag für die Zuschauer: Ein wehrloserAuftritt des 1. FC Nürnberg verhilft mäßigen Borussen aus Mönchengladbach zu einem 2:0-Erfolg
aus Mönchengladbach BERND MÜLLENDER
Darius Kampa hatte während des ganzen Spiels kaum eine bemerkenswerte Szene. Dadurch war der junge Torsteher des ruhmreichen 1. FC Nürnberg, so die scheinbar paradoxe Erkenntnis, bester Spieler seiner Elf. Schon weil er sich als einziger seines Teams keinen Fehlpass erlaubte. Nürnberg hatte genau eine halbe Torchance, als Michalke anfangs einmal vorbeiköpfte. Auf das Tor schossen die Franken kein einziges Mal.
Woran die peinliche Vorstellung lag? Kampa zuckte mit den Schultern. „Der Platz war stumpf und holprig …“, ach nein, das klinge „nach Ausrede“, er wisse es auch nicht. Außer den beiden Treffern von Ulich (12.) und Forssell (56.) „war der Wurm drin.“ Warum? Kampas Schultern gingen rauf und runter. „Lag es am Selbstvertrauen?“, fragte er sich selbst. Und antwortete wieder mit energisch hüpfenden Schultern. Kampa konnte von Glück sagen, dass er als Torwart deutlich mehr Schulter- und Nackenmuskeln antrainiert hat als seine Kollegen. Jeder andere hätte sich Zerrungen zugezogen.
Auch der Trainer war ratlos. Klaus Augenthaler, dessen Netz aus Gramfalten im Gesicht dichter wird, fehlte jedes „Kratzen, Beißen, Zwicken“, die Tore habe man sich zudem „sehr billig abgeholt“. Erkenntnis im Abstiegskampf: „Man muss mit mehr Schmackes auftreten.“ Bezeichnend für Nürnbergs Apathie war, dass Augenthaler in den letzten zwei Minuten für den verletzten Cacau niemanden mehr einwechselte. Kein Schmackes mehr auf der Bank.
Der 1. FC Nürnberg hatte nebenan im Wallfahrtsort Kevelaer tagelang Quartier bezogen, doch die Magie des Herrn hat nichts gebracht. Zu viel Harmonie, zu viele Gebete und Fürbitten? „Von guter Stimmung im Bus gewinnt man keine Spiele“, wusste Augenthaler. Überhaupt habe „der letzte Mumm gefehlt“. Stimmt. Aber der vorletzte auch und der davor und überhaupt alle Mümme. Lange hatte man den Eindruck, da spiele sich Abstiegskampf in des Wortes direkter Bedeutung ab: Als kämpften beide Elfen um die Ehre, die Liga verlassen zu dürfen. Das Spiel machte offenbar auch DFB-Schatzmeister Theo Zwanziger etwas meschugge. Erst vergaß er seine amtsbedingte Neutralität, dann formulierte er: „Ich hoffe, dass der Klassenerhalt am Ende der Saison besiegelt wird.“ Nicht, dass sie den Abstieg sichern.
Für die Fehlerserien und teils grotesken Ballverluste beider Teams hätten sich viele Regionalligareservekicker geschämt. Selten hat ein Ball so oft so schnell die Spielrichtung geändert. Immerhin, Gladbachs Abwehr mit Trainer Ewald Lienens Neuentdeckung Bernd Korzynietz stand sicher. Zwar war es wie beim schwachen Auftritt bei 1860 München vergangene Woche auch diesmal eine Art „destruktives Spiel“ (Lienen), nur weiter nach vorn verschoben und durchs Ergebnis geweiht.
So wirkte Lienen nach drei Heimspielen mit drei Zunullsiegen entspannt, auch wenn es, so seine Erkenntnis, „nicht gerade ein hoch attraktiver Nachmittag war, auch von uns nicht“. Nein, sagte er, „ein schönes Fußballspiel ohne Nervenflattern“ gehe derzeit nicht.
So ist nicht nur Mönchengladbach, sondern der gesamte deutsche Fußball derzeit ein Bild der gesellschaftlichen Lage. In der Politik spielen wir in der gleichen Liga wie die Abseitsstaaten Libyen und Kuba. Im Profifußball geht es ab Platz 9 um die Existenz – in einem Sumpf aus Agonie, Dilettantentum und Depression: Deutschland einig Abstiegsland. Entsprechend öde sind die Events. Neulich traf gerade noch ein deutscher Spieler ins Tor. „Deutschland“, sagte daraufhin der US-Angriffsexperte Donald Rumsfeld, „spielt keine Rolle mehr.“ Und sein Präsident ergänzte: „The game is over.“
Noch nicht ganz für Borussia: Zu Hause ist sie eine Macht, niemand hat weniger Gegentore kassiert. Auswärts bleibt sie als Punktelieferant beliebt wie ein Geldbriefträger dareinst. Warum das Fremdeschwächeln? „Ich weiß keinen vernünftigen Grund“, sagt Analyst Lienen. Möglich sei, dass sich „einige Spieler auswärts einige Prozentpunkte reservieren“. Damit wäre die Auswärtsschwäche Basis für Heimerfolge.
Den Schlusspfiff bejubelten alle nicht nur wegen der drei Existenzsicherungspunkte, sondern weil sie endlich nach Hause gehen durften. Doch noch bei der Verabschiedung der winkenden Fohlen skandierten die Fans mehrfach: „Auswärtssieg! Auswärtssieg!“ Es geht zu Energie Cottbus, dem Tabellenletzten. Derzeit scheint für die Borussia auch Energiefrei Clausthal-Zellerfeld eine schwere Hürde.
Borussia Mönchengladbach: Stiel - Korzynietz, Pletsch, Strasser, Asanin - Demo, Kluge (82. Stassin), Ulich - Aidoo (56. Felgenhauer), Forssell, Ketelaer (89. Schlaudraff) 1. FC Nürnberg: Kampa - Stehle, Nikl, Kos, Wolf - Junior, Larsen, Jarolim, Müller - Krzynowek (58. Ciric), Michalke (70. Cacau) Zuschauer: 30.000, Tore: 1:0 Ulich (13.), 2:0 Forssell (56.)