Kein Salon-Engagement

Man las und schrieb nicht nur viel in Czernowitz, der einstigen Hochburg jüdischer Intellektualität. Man stritt auch mit leidenschaftlichem Eifer. Die Vers- und Kaderschmiede lässt zwischen jüdischen KünstlerInnen die Fetzen fliegen

Man las nicht nur viel in Czernowitz zu Beginn des letzten Jahrhunderts, „gute, beste Literatur“, wie man von der Lyrikerin Rose Ausländer, am 11. Mai 1901 in der damals österreichisch-ungarischen Stadt in der Bukovina geboren, erfährt. Man schrieb selbst, malte, musizierte, sang – und „diskutierte mit Feuereifer“. „Czernowitz“, schreibt Rose Ausländer, „war eine Stadt von Schwärmern und Anhängern. (…) In dieser Atmosphäre war ein geistig interessierter Mensch geradezu gezwungen, sich mit philosophischen, politischen, literarischen oder Kunstproblemen auseinanderzusetzen oder sich auf einem dieser Gebiete selbst zu betätigen. Eine versunkene Stadt. Eine versunkene Welt.“

Ausgehend vom leidenschaftlichen Streit der Intellektuellen und Künstler in der einstigen Hochburg jüdischer Intellektualität lässt Thomas Ebermanns „Vers- und Kaderschmiede“ am Montagabend auf der Bühne des Polittbüros die Fetzen fliegen. Denn so vielfältig wie die Geschichte und Kultur der Stadt und ihrer BewohnerInnen waren auch die Gegensätze und Zerwürfnisse, die Gemeinsamkeiten und Solidaritäten zwischen den jüdischen KünstlerInnen. Nicht nur Rose Ausländer ist hier geboren und aufgewachsen, auch Paul Celan, Itzig Manger, Albert Maurüber und Isaak B. Singer stammen aus Czernowitz.

All diese werden sich im ersten Teil des Czernowitz-Abends in einer szenischen Lesung an das Leben in der Stadt erinnern, dazu erklingt von Marco Tschirpke erstmals vertonte Lyrik unter anderem von Klara Blum und Moses Rosenkranz. Schon hier indes kündigt sich das Streitgespräch an: Während die einen romantisierend verklären, verschweigen die anderen den Dreck, das Elend und die Unterdrückung nicht. Thema wird hier auch der zunehmend offener auftretende Antisemitismus sein, nachdem im Dezember 1937 Octavian Goga zum Ministerpräsidenten ernannt worden war. „Daraufhin änderte sich alles. (…) die Juden wurden überall ‚Jidani‘ (Saujuden) statt wie üblich ‚Evrei‘ (Hebräer) genannt“, schreibt etwa Zvi Yavetz.

So richtig werden die Fetzen indes erst in der zweiten Hälfte des Abends fliegen, die auch literarisch interessanter werden wird. Denn hier stehen die Gegensätze, die vor allem politischer Art waren, im Zentrum. Während die einen sich zur Verteidigung des Althergebrachten verpflichtet sehen, wollen die anderen die traditionellen fesseln zerstören. Wer auf Assimilation hofft, sieht sich den KämpferInnen für die klassenlose Gesellschaft und den WerberInnen für einen jüdischen Staat gegenüber. Als „milder Sozialist“ entpuppt sich dabei etwa Itzig Manger, Albert Maurüber ist da schon schroffer: wütend klingt die Anklage des linksradikalen Expressionisten. Individualistisch und modern ist Mihail Sebastion, während Isaak B. Singer die jüdisch-selbstironische Seite repräsentiert.

Interessant wird es nicht zuletzt sprachlich werden: Denn der Streit machte auch vor der Sprache keinen Halt. Nach der angemessenen Form für die eigene Prosa und Lyrik der derart Engagierten wurde schließlich noch gesucht.

ROBERT MATTHIES

Mo, 24. 11., 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45