: Soziales Kapital mit Verzinsung
Der Kreis Pinneberg ist fast pleite – und will deshalb seine Wohnungsbaugesellschaft verkaufen, um den Haushalt zu entlasten. Eine Initiative befürchtet steigende Mieten und strebt daher einen Bürgerentscheid für sozialen Wohnungsbau an
von GERNOT KNÖDLER
Im Kreis Pinneberg (Schleswig-Holstein) läuft ein Bürgerbegehren gegen den Verkauf der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (Gewoge). Nachdem der Kreistag am 28. Januar mit den Stimmen von CDU und FDP im Grundsatz beschlossen hat, den Mehrheitsanteil des Kreises an dem Unternehmen zu verkaufen, versucht die „Interessengemeinschaft (IG) sozialer Wohnungsbau“, 23.300 Unterschriften für einen Bürgerentscheid gegen diesen Plan zusammen zu bekommen. Der Landrat und die Mehrheitsfraktionen wollen durch den Verkauf die Zinslast im Kreishaushalt vermindern. Die Initiative weist darauf hin, dass die Gewoge den Kreis keinen Cent kostet und günstige Mieten gewährleistet.
„Das Unternehmen ist gesund und auch in der Lage, Gewinne zu erwirtschaften“, räumt Landrat Wolfgang Grimme (CDU) ein. Einen Gewinn für den Kreis erwirtschafte das Unternehmen hingegen nicht. Im Gegenteil: In der Gewoge sei Kapital gebunden, mit dem der Kreis seinen Schuldenberg verkleinern und sich damit jährlich von fünf bis sechs Millionen Euro entlasten könnte.
Die Haushaltslage ist unerquicklich, wie CDU-Fraktionschef Michael Hirsekorn dem Kreistag vorrechnete: Das Defizit zwischen den laufenden Einnahmen und Ausgaben lag im vergangenen Jahr bei 10,3 Millionen Euro, für das laufende Jahr rechnet die Kreisverwaltung mit 16,7 Millionen, 2007 könnten es 23 Millionen sein. Die Schulden werden im laufenden Jahr auf fast 78 Millionen Euro steigen, für 2007 rechnet Hirsekorn mit 96 Millionen. An Zinsen und Tilgung müsse der Kreis im laufenden Jahr sieben, 2007 mehr als acht Millionen Euro zahlen.
„Der Kreis ist de facto handlungsunfähig“, sagt Landrat Grimme. „Ich habe die Situation, dass ich Leistungen des Kreises – auch soziale Leistungen – kreditfinanziert bestreite. Das ist ein Zustand, der ist schlichtweg nicht haltbar.“ Investitionen finanziere der Kreis sogar zu 100 Prozent über Kredite. In so einer Situation müsse erwogen werden, die Schuldenlast durch den Verkauf öffentlichen Eigentums zu reduzieren.
Der Landrat versucht die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Gewoge verkauft werden kann, ohne dass deren Mieter darunter leiden werden. „Es gibt im Markt Akteure, die seit Jahrzehnten günstig auch sozial geförderte Wohnungen bauen und anbieten“, argumentiert er und verspricht: „Wir wollen diese Gesellschaft als ganze an einen Bieter veräußern, der diese soziale Verpflichtung weiterführen kann.“ In Frage kämen hierbei etwa Genossenschaften, die ja nicht viel mehr Rendite erwirtschafteten als die Gewoge.
Rolf Drave aus Rellingen, der Initiator des Bürgerbegehrens, ist da skeptisch: „Ein Investor, der einen zweistelligen Millionen-Betrag investiert, der möchte auch Profit haben“, gibt er zu bedenken. Lediglich 339 von 2.225 Gewoge-Wohnungen unterliegen als Sozialwohnungen einer Mietpreisbindung. Die zu erwartenden Mietsteigerungen würden über den Umweg eines wachsenden Bedarfs an Sozialhilfe den Haushalt belasten, so dass nichts gewonnen wäre.
Die SPD-Opposition fordert deshalb eine „ordnungspolitische Grundsatzdiskussion“. Der CDU wirft sie eine „Strategie der Überrollung“ vor. Erst eine Woche vor dem Kreistagsbeschluss habe die Fraktion den Antrag gestellt, kritisiert der SPD-Kreisvorsitzende Thomas Neddermeyer. Das erschwere ein Bürgerbegehren, weil nur sechs Wochen Zeit blieben, um dafür Unterschriften zu sammeln.
Die von Grimme erhofften Einsparungen an Zins- und Tilgung hält Neddermeyer für unrealistisch. „Wenn er solche Zahlen in die Welt setzt, geht er von totalen Illusionen aus, oder er täuscht“, sagt Neddermeyer. Bei einem vermutlichen Verkaufserlös von 20 bis 30 Millionen Euro könne die Stadt maximal 1,2 Millionen Euro sparen, da Kommunalkredite im Schnitt nur vier Prozent Zinsen kosteten. Um das Etatloch zu stopfen, schlägt die Initiative vor, zu sparen und die Kreisumlage zu erhöhen. Die Gemeindefinanzreform werde zusätzliches Geld in die Kreiskasse spülen. Überdies müssten die Aufgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu verteilt werden.
Doch der Landrat hat längst über den Verkauf der Gewoge hinaus gedacht. „Das Defizit im Verwaltungshaushalt, das rette ich damit nicht“, räumt er ein. Es müsse diskutiert werden, ob weitere Immobilien verkauft werden könnten, und es seien strukturelle Veränderungen nötig: „Wir stellen jede Dienstleistung in Frage“, sagt Grimme. So könnten etwa die Bauhöfe privatisiert oder die Zusammenarbeit mit den Kommunen intelligenter organisiert werden. Im Sommer sei voraussichtlich abzuschätzen, wie viel Luft aus dem Haushalt gelassen werden könnte.
Bis dahin muss Grimme allerdings mit einem Bürgerentscheid rechnen. Schaffen Drave und seine Mitstreiter die Hürde von 23.300 Unterschriften, kommt es zur Abstimmung. Ein Verkauf der Gewoge würde verhindert, wenn die Mehrheit der gültigen Stimmen, mindestens jedoch ein Fünftel der Wahlberechtigten dagegen spräche.