Der alte Mann und die Maut

Verkehrsminister Manfred Stolpe (67, SPD) hat Toll Collect die Kündigung auf den Tisch gelegt. Endlich ein Ende – wäre da nicht das Kleingedruckte

VON HANNA GERSMANN

Seine Frau sage immer, er habe eine „Eselsgeduld“. Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) verfiel gestern zunächst in den Plauderton, schickte sogleich noch ihren Rat hinterher: „Die solltest du dir vielleicht abgewöhnen.“ Er hat auf sie gehört. Gestern Morgen, 8.30 Uhr: Manfred Stolpe überreicht den Managern von DaimlerChrysler, Telekom und Cofiroute einen Brief in einer roten Mappe. Aus, Schluss, vorbei – dem Mautkonsortium wird gekündigt. Eine Stunde später tritt der Minister vor die Presse. „Die Meldung ‚Durchbruch gelungen, wir schaffen es‘ musste ich leider zerreißen“, sagt er. Er hatte sich auf beides, hopp oder Flop, vorbereitet. Bis zum Schluss der nächtlichen Verhandlungen war alles offen.

Der 67-jährige Manfred Stolpe redete ruhig, in gewohnt väterlichen Art, ein wenig müde war er vielleicht. Gestresst wirkte er nicht. Dabei hat er Tage, ja Wochen mit dem Konsortium gestritten. Seit Freitag bis gestern Morgen nahezu pausenlos. Er wollte die Weltkonzerne unbedingt halten, für ein „großes industriepolitisches Projekt“, wie er die milliardenschwere Maut nennt. Doch dann „um 7.48 Uhr“, erzählt der Minister, „scheiterte der letzte Rettungsversuch“.

Endlich ein Ende – wäre da nicht das Kleingedruckte und mal wieder ein Hintertürchen. DaimlerChrysler und Deutsche Telekom bekommen noch einmal zwei Monate Zeit, sich und ihre Tochter Toll Collect „zu bessern“, wie Stolpe sagt. So sieht es der derzeit gültige, 2002 mit dem damaligen Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) abgeschlossene Maut-Vertrag vor. „Von Toll Collect hat es dafür kein Signal gegeben“, sagt Stolpe zwar. Aber er fügte hinzu: „Gesprächen werden wir uns nicht verweigern.“

Dabei gab sich Stolpe zuvor fast ungewohnt deutlich. Von „Widerwärtigkeiten der letzten Wochen“ und von „Bedenken gegenüber dem Konsortium“ sprach er, die er „nicht wegdiskutieren“ konnte. Schließlich müsse das Mautsystem, nach dem Spediteure pro gefahrenen Autobahnkilometer 12,4 Cent zahlen sollen, „sicher“, „verlässlich“ und „wirtschaftlich vertretbar“ sein. Das könnten Daimler Chrysler und Deutsche Telekom, die mit dem französischen Partner Cofiroute hinter Toll Collect stehen, seiner Ansicht nach noch immer nicht bieten.

Stattdessen hätten die Weltkonzerne mit einem neuen Angebot, das sie Ende Januar vorlegten, für sich noch einmal das Beste rausholen wollen. Tatsächlich wollten sie die Haftung auf 500 Millionen Euro pro Jahr beschränken. Außerdem wollte das Konsortium aussteigen dürfen, sollte das System 2006 noch nicht laufen. Darüber hinaus sollte der Bund seine alten Ansprüche, Ersatz für die bisherigen Einnahmeausfälle, aufgeben. Wer so „den Staat als Melkkuh nutzt“, sagte Stolpe, gebe ein „schlechtes Beispiel für das so genannte Public-Private-Partnership“. Eigentlich setzt die Bundesregierung auf solch eine Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft, um etwa die Sanierung von Schulen oder den Bau von Tunneln finanzieren zu können. Bei der Maut geht die Rechnung aber einfach nicht auf. In den ohnehin schon knappen Haushalt von Hans Eichel (SPD) hat die Misere bereits ein Loch von 900 Millionen Euro gerissen, bis Ende des Jahres wird mit Einnahmeausfällen von 2,8 Milliarden Euro gerechnet. Der Verkehrsminister will nun einen „Investitionsnotstand“ beim Bau von Straßen und Schienen abwenden, fürchtet zum Beispiel um die Fußball-WM 2006. „Da muss einfach gebaut werden“, sagt er.

Stolpe will das Geld von Toll Collect zurückholen: „Wir werden Schadenersatz so lange geltend machen, bis wir eine neue Lösung haben.“ Dazu wird er das Konsortium schon bald vor einem Schiedsgericht wiedersehen. Wie die Chancen stehen, ist unklar. Stolpe ist sich aber sicher: DaimlerChrysler und Telekom könnten ihre Tochter nicht einfach in die Pleite manövrieren, um sich so vom Schadenersatz zu befreien. Die Mütter blieben in der Pflicht. Toll Collect äußerte sich dazu gestern nicht, bedauerte nur die Kündigung.

Die Spediteure dürfen sich freuen, sie fahren die nächsten Monate auf den Straßen der Republik, ohne einen Cent zu zahlen. Zwar will Stolpe jetzt die Eurovignette wieder einführen, ihr Aufbau dauert aber mindestens sechs Monate. In die Bundeskasse spült sie dann knapp 40 Millionen Euro, nicht einmal ein Viertel der erwarteten Mauteinnahmen. Der Minister will zudem die Maut neu ausschreiben, Auftragsvergabe und Installation brauchen aber mindestens 36 Monate. Ob Stolpe für die neuen Verhandlungen der richtige Mann ist? „Wenn es Freiwillige gibt und der Kanzler so entscheidet, ich habe genug anderes zu tun“, sagt er. Gerhard Schröder, wohl auch ein Geduldsmann, stellte sich gestern aber hinter Stolpe.