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„Hilfe, Diebe, Babylon!“

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Die Prioritäten waren klar. Das Ministerium für Öl hatten US-Truppen am ersten Tag ihres Einmarsches in Bagdad abgesichert. Im Falle des irakischen Nationalmuseums dauerte es eine Woche, bis vier Panzer der US-Armee vorfuhren und im Vorhof Stellung bezogen. „Alles, was ich weiß, ist, dass wir den Befehl heute bekommen haben“, rechtfertigt Leutnant Derik Welascik seinen späten Einsatz in typisch militärischer Abwehrhaltung – um dann noch etwas kleinlaut hinzuzufügen, dass das Ganze wohl etwas „unglücklich“ gelaufen sei.

Ein paar Schritte vom Museumsparkplatz entfernt, gibt Doni Georg, der irakische Chef der Forschungsabteilung des Museums, eine erste Einschätzung. „Wir sind glücklich, dass die Amerikaner gekommen sind, wenngleich ein wenig zu spät“, sagt er diplomatisch. Die Mitarbeiter, die sich erstmals ins Museum trauten, müssen sich nun erst einmal einen Überblick verschaffen, welche und wie viele der über 170.000 Museumsstücke genau geplündert worden sind.

Kämpfe vorm Museum

Kein einfaches Unterfangen. Viele der Dokumente des Museums wurden zerstört, und im Keller, dem wichtigsten Lagerraum, gibt es kein Licht. Die Plünderer haben sich auch mit Teilen des Stromgenerators versorgt. Eines konnte Doni Georg aber schon mit Sicherheit sagen: „Nicht der Mob hat geplündert, sondern Leute, die genau wussten, was es hier zu holen gab.“

Am nächsten Morgen kann der ehemalige Chef der Antikenabteilung und heutige Museumsberater Dr. Mouayad Damerje mehr erzählen. Offensichtlich hatten die Plünderer zwei Tage Zeit, in aller Ruhe ihrem räuberischen Werk nachzugehen. Die Mitarbeiter des Museums, die während des Krieges dort bleiben wollten, waren geflohen, als es in den Tagen nach dem Einmarsch der Amerikaner in die Stadt direkt vor dem Museum zu Kampfhandlungen kam.

Noch immer liegen dort Patronenhülsen herum. Auch einige Polizisten, die zur Bewachung abgestellt waren, suchten das Weite, aus Angst, wegen ihrer Uniformen von den Amerikanern beschossen zu werden. Nur Muhsen, eine Art Hausmeister, war geblieben und versuchte die Plünderer zu stoppen, musste aber der Übermacht weichen.

Ein anderer Mitarbeiter namens Muschtaq rannte zu einer Gruppe amerikanischer Panzer und versuchte sich dort in gebrochenem Englisch verständlich zu machen. „Hilfe, Museum, Diebe, Babylon!“, soll er den verblüfften Soldaten zugerufen haben. Einer der Plünderer soll daraufhin den Amerikanern gesagt haben, dass Muschtaq zu Saddam Husseins Elitetruppe Feddayin Saddam gehöre. Daraufhin machte er schnell, dass er wegkam.

Vorwürfe an Washington

Mouayad Damerje versucht eine erste Bestandsaufnahme: „Viele Dokumente sind verbrannt und zerstört. Sechs bis sieben mittelgroße Statuen aus der Sumererzeit, aus dem dritten vorchristlichen Jahrtausend, sind weg. Vier Statuen aus Hatra und eine Weihvase aus Uruk sind gestohlen. Und eine 4.250 Jahre alte Basitki-Heldenfigur mit der Inschrift des Königs Naramsin ist verschwunden: ein besonders einzigartiges Stück, weil es in seiner präzisen Anatomie bereits jenen griechischen klassischen Stil wiedergibt, der eigentlich erst 1.800 Jahre später entwickelt werden sollte. Die Figur ist so schwer, dass sie von mindestens sieben Männern getragen worden sein muss.

Von weiteren Apollo- und Neptun-Statuen wurden der Einfachheit halber nur die Köpfe abgeschlagen. Dass es sich um Profis gehandelt habe, darauf deuten laut Damerje auch ein paar Glasschneider hin, mit denen die Diebe die Vitrinen aufgeschnitten hatten und die sie zurückließen. Dabei soll es sich um Modelle handeln, die im Irak nicht gebräuchlich sind.

In einem benachbarten Lagerhaus wurden viele kleinere Stücke gestohlen, mehrere hundert oder gar tausend, schätzt Damerje. Im neuesten Lager im Keller des Museums, das mit einer Panzertür gesichert ist, fanden die Diebe einen weniger gesicherten Notausgang und brachen ein. Um Licht zu bekommen, verbrannten sie dort zahllose Dokumente des Museums.

Später soll ein Mitarbeiter des Museums, ebenfalls mit dem Namen Muhsen, zum Hotel Palestine gefahren sein, wo Teile der US-Armee Quartiere bezogen haben. Mit Hilfe von Journalisten, die dort ebenfalls untergebracht sind, konnte er sein Anliegen schließlich einigen US-Offizieren vorbringen. Doch nichts geschah, auch nicht, als später der Chef des Museums, Jaber Jalil, zusammen mit Doni Georg nochmals ins Hotel kam.

„Ich bin nicht wütend auf die Soldaten, die jetzt erst vor dem Museum aufgefahren sind“, sagt Mouayad Damerje. Was sich seiner Meinung nach aber nicht rechtfertigen lässt, sei die Tatsache, dass weder die Regierung in Washington noch das regionale US-Hauptquartier am Persischen Golf in Katar sich in ihrer Kriegsplanung jemals mit der Möglichkeit auseinander gesetzt haben, dass eines der wichtigsten Archäologiemuseen der Welt zum Ziel von Plünderern werden könnte und sofort geschützt werden müsste. Denn der Raub komme alles andere als überraschend.

Seit Beginn der UN-Sanktionen gegen Irak im Jahre 1990 ist der Schmuggel von archäologischen Gegenständen epidemisch. Mehr als 4.000 Stücke wurden seitdem in den Provinzmuseen gestohlen. Einiges konnte im Irak selbst sichergestellt werden, der prominenteste Fall war ein tonnenschwerer geflügelter Stierkoloss, der aus dem Museum von Mossul entwendet wurde, nachdem er aus Transportgründen in drei Teile zersägt worden war. Als die Schmuggler gefasst wurden, so heißt es, soll Saddam Hussein befohlen haben, die Männer genauso wie den Stier in drei Teile zu zersägen. Später wurde der Stier wieder zusammengesetzt und ins Museum in Bagdad gebracht.

Einige irakische Schmuggler hatten mehr Glück – ihre europäischen Abnehmer liefen ohnehin nie Gefahr, zersägt zu werden. Viele der in den irakischen Provinzmuseen gestohlenen Gegenstände tauchten später in Genf und London auf. Ein assyrisches Relief wurde bei einem Kunsthändler in London gefunden, der es bei einem Anwalt hinterlegt hatte. „Wir haben einen Prozess angestrengt und 70.000 Britische Pfund bezahlt“, erzählt Damerje. Ohne Ergebnis: Der Anwalt hat der irakischen Antiquitätenverwaltung inzwischen dreisterweise angeboten, sie könne das Stück für 100.000 Pfund zurückkaufen.

Kontakt zu Schmugglern

„Auch diesmal werden internationale Antiquitätenhändler wohl bald Kontakt zu den Schmugglern aufnehmen, wenn sie bei der Plünderung des Nationalmuseums nicht sogar direkt die Finger im Spiel hatten“, glaubt Damerje. „Es sind einige große Kunsthändler in London mit Filialen in der Schweiz“, sagt er, will das aber nicht ausführen, ohne, wie er sagt, mehr Beweise zu haben.

Bereits die Diebstähle in den Provinzmuseen haben Damerje schwer zugesetzt. Das, sagt er, war ein Trauma. Seitdem leide er unter Diabetes und Schuppenflechte. Der 61-Jährige ärgert sich jetzt vor allem, dass er nicht, wie beim letzten Golfkrieg 1991, mit einem Gewehr im Museum in Bagdad übernachtet hat. „Hätte ich das diesmal wieder gemacht“, sagt er, „ich schwöre, ich hätte jeden Plünderer über den Haufen geschossen, und wenn ich am Ende dabei umgekommen wäre.“

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