: Freude über das Armutszeugnis aus Brüssel
Die Lage in weiten Teilen Ostdeutschlands ist so bitter, sagt der EU-Bericht, dass auch nach der Osterweiterung europäische Fördermittel in Milliardenhöhe fließen müssen
BERLIN taz ■ Steht Ostdeutschland demnächst der Förder-GAU bevor? Lange Zeit hatte es so ausgesehen. Durch den Beitritt von zehn neuen Ländern zur Europäischen Union drohten die neuen Bundesländer statistisch plötzlich so reich zu werden, dass sie nicht mehr den Kriterien für Höchstförderung entsprechen. Gestern gab EU-Regionalkommissar Michel Barnier zumindest teilweise Entwarnung. Weite Teile Ostdeutschlands sind inzwischen so arm, dass sie auch nach der Osterweiterung Unterstützung aus Brüssel bekommen.
Bei der gestrigen Vorstellung des so genannten Kohäsionsberichts ging es um die Frage, welche europäischen Regionen in der Förderperiode zwischen 2007 und 2013 weiterhin unter die „Ziel-1-Förderung“ (siehe Kasten) fallen. Schon vorab war in Brüssel bekannt geworden, dass 18 Regionen, die bislang die Höchstförderung aus der Regionalförderung der EU bekamen, nach der Erweiterung dem „statistischen Effekt“ zum Opfer fallen würden.
In Ostdeutschland, erklärte Barnier gestern, betrifft dies die Regionen Leipzig, Halle und Dresden sowie den Süden Brandenburgs. Die anderen Regionen in den neuen Ländern sind auch weiter Ziel-1-Gebiete. Bislang war man davon ausgegangen, dass lediglich die Regionen um Dessau und Chemnitz weiterhin die Höchstförderung bekommen.
In der in zwei Jahren auslaufenden Förderperiode von 2000 bis 2006 erhalten die neuen Bundesländer insgesamt 20 Milliarden Euro an Regionalmitteln. Dass aber auch die Regionen, die nun aus der Höchstförderung fallen, ab 2007 nicht an die Wand fahren, ist das erklärte Ziel von Regionalkommissar Barnier. Der Franzose hat für die 18 betroffenen Regionen deshalb eine „Ziel-1b-Förderung“ vorgeschlagen. Dabei würden ab 2007 zunächst 85 Prozent der bisherigen Förderung weiterfließen. Bis 2013 sollen die Zuwendungen dann stufenweise auf 50 Prozent abgesenkt werden. Voraussetzung für dieses 22 Milliarden Euro teure „Phasing-out“ – sagte Barnier in dieser Woche – sei allerdings, dass sich die EU-Kommission im Finanzstreit um den Haushalt der Gemeinschaft gegen die Nettozahler um Deutschland durchsetzt.
Doch das ist bislang nicht in Sicht. Nach wie vor beharren Deutschlands Finanzminister Hans Eichel (SPD) und seine Kollegen aus Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, aus Schweden und Österreich darauf, den EU-Haushalt nach dem Beitritt nicht aufzustocken. Brüssel dagegen möchte den Haushalt von derzeit 100 Milliarden Euro bis 2013 auf 143 Milliarden erhöhen. Die Haltung der Bundesregierung hat nun auch innenpolitischen Streit ausgelöst. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück sagte am Dienstag in Brüssel, momentan habe er mit der Bundesregierung mehr Gesprächsbedarf als mit der EU-Kommission in Brüssel.
Um den Druck auf Berlin zu erhöhen, hatte die EU-Finanzkommissarin Michaele Schreyer bereits in der vorigen Woche damit gedroht, im Falle einer starren Haltung der Bundesregierung die ostdeutschen Bundesländer ganz aus der Regionalförderung herausfallen zu lassen. Dem widersprach jedoch Regionalkommissar Barnier. Wenn es keine Aufstockung des EU-Haushalts gebe, würde am Gesamtpaket und nicht an einzelnen Regionen gestrichen.
Eine endgültige Entscheidung über die Regionalförderung 2007 bis 2013 wird ohnehin erst im nächsten Jahr von den Staats- und Regierungschefs getroffen. Bis dahin können sich, unabhängig vom Haushaltsstreit zwischen Brüssel und Berlin, auch diejenigen Regionen in Ostdeutschland Hoffnung machen, die nun aus der Höchstförderung fallen. Dem gestrigen Kohäsionsbericht der EU-Kommission lagen nämlich nur die Zahlen bis 2001 zugrunde. Wenn die bisherige Talfahrt weitergeht, könnten aber auch die „statistisch reichen“ Regionen plötzlich wieder arm werden und damit auf mehr Geld hoffen. UWE RADA
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