: Kakanisches Wien
Die „Buch Wien“ will sich neben Frankfurt und Leipzig als Buchmesse profilieren. Touristisch ist sie interessant, auch programmatisch?
VON ANDREAS FANIZADEH
Nach 60 Jahren ist aus der Wiener Buchwoche nun erstmalig die Messe „Buch Wien“ geworden. Entsprechend scheute man keinen Einsatz, Gäste aus dem Haus und in die österreichische Hauptstadt zu locken, um diese vom gewachsenen Anspruch zu überzeugen. 271 Aussteller waren am Messegelände in der Nähe des Wiener Prater vom 20. bis 23. November im Einsatz, Bestsellerautorin Donna Leon zog am Eröffnungstag die Massen zur Lesung ins Obere Belvedere.
Die Buch Wien versteht sich in erster Linie als Publikumsmesse, will sich aber auch als Branchentreffen und literarischer Mittler zum Osten präsentieren. Ilija Trojanows Eröffnungsrede, abgedruckte unbescheidene zwei Zeitungsseiten am Samstag in der Tageszeitung Presse, widmet sich folgerichtig den „Sternstunden Kakaniens“. Deren jetzige sind auch dieses Wochenende auf den Inlandsseiten der ortsansässigen Zeitungen nachzulesen. „ ‚Schutz der Bevölkerung‘ wichtiger als Menschenrechte – Landeshauptleute gegen ‚straffällige Asylbewer- ber‘ “ lautete eine Überschrift in der Wochenendausgabe des Standards.
Aber begeben wir uns tiefer ins alte Kakanien und verlassen die Stadt mit dem Twin-City-Liner, einem Schnellboot, donauabwärts Richtung Bratislava. Wo besser sollte man den alten k. u. k. Geist verspüren als bei einer solch habsburgisch-grenzüberschreitenden Veranstaltung, organisiert im Rahmen der Buch Wien? In fünf Stunden hatte man so zehn Lesungen, die feierliche Verleihung des Austria-Literis-Literaturpreises und ein gemeinsamen Abendessen in Bratislava zu bewältigen.
Träge kriecht seine Majestät, der Donaustrom dahin. Regen peitscht gegen die Fensterfront des City-Liners, und es dunkelt bereits zu Beginn der Reise um halb vier. Die Moderatoren Erich Klein und Katja Gasser betonen, sie wollten grenzüberschreitend „literarische Verkrustungen aufbrechen“. Klein hat selber ein Buch geschrieben, „Graue Donau, schwarzes Meer“. Das Boot hat kaum abgelegt, da geht es los. Die Schriftstellerin Marica Bodrožić kämpft gegen den Motorlärm des Schiffes an. „Libellen fliegen auf, in allen ihren Erscheinungsformen … Die Mutter sagt, weine nicht … In der Wirbelsäule wohnt die Leiter.“ Satzfetzen hallen heran, während das Schnellboot an den Umrissen eines alten Gasometers und einem Heizkraftwerk vorbeigleitet.
Bald ist Michael Stavarič an der Reihe, ein junger experimentell orientierter Autor, laut Moderatorin Gasser „eine der größten literarischen Hoffnungen Österreichs“. Moderator Klein plaudert mit einem Budapester Literaturwissenschaftler („die Donau ist ein trauriger Blitzableiter“).
Ein Kohlenschiff schraubt sich flussaufwärts an uns vorbei, ein Mann mit Nike-Kappe ergreift das Wort. Es ist der Schriftsteller Catalin Dorian Florescu, und der verleiht dieser kakanischen Flussfahrt sofort Leben und Tempo. Die Suche nach dem Glück könne wie in seinem Fall aus Rumänien auch in den reichen Westen, in die Schweiz führen.
„Wir sitzen alle im selben Boot“, sagt Florescu, womit er hier zweifellos recht hatte, bevor er die Motive seines im Frühjahr bei Beck erschienenen Romans „Zaira“ erläutert. „Die einen weinen, schon wenn ihnen ein kleines Missgeschick passiert, die einen erst kurz vor ihrem Tod.“ Florescu zeigte Humor, man sollte vielleicht mehr von „Zaira“ lesen.
Im Casino-Café Reduta in Bratislava wartete die Bankmanagerin Jana Tomková auf Florescu und die Reisegruppe. Ihre Ansprache in dem barocken Saal gewährte einen Einblick in die vom Übergang des Partei- in den Privatkapitalismus befindlichen Ostsysteme („leider kann der Vorstand nicht selber anwesend sein, Sie verstehen“). Die Reisegruppe verstand. Im Anschluss an eine sprachlich unverständliche Preisverleihung – eine Jurorin preist die „altmodischen Werte“ eines Poeten – bekam sie Nockerln in Schafskäse (Tomková: „sehr gesund“) serviert, bevor der Raum von von einer balko-afro-kakanischen Band namens Dobrek Bistro ekstatisch geflutet wurde. Da half nur die Flucht aus dem Barocksaal in Richtung Donau.
Auf der Rückfahrt las kein Florescu mehr. Das Kakanische im heutigen Österreich aufzubrechen, hieße, konsequent zu intellektualisieren und sich den internationalen Standards zu stellen. Davon konnte zumindest bei dieser Schifffahrt noch kaum die Rede sein.