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Archiv-Artikel

Der Busen von Celle

Heute ist der „Tag gegen Gewalt an Frauen“. Dass diese Gewalt verwirrend viele Gesichter hat, ließ sich am Wochenende in einer Diskothek in Celle lernen: Dort wurden von einer Agentur 3.700 Euro für eine Brust-OP in Polen ausgelobt – und die Kandidatinnen legten sich so richtig ins Zeug …

AUS CELLE ANJA MAIER UND PETER MÜLLER (FOTOS)

Um 3.21 Uhr geht Nadine Leier in die Knie. Sie weint jetzt hemmungslos, hält mit letzter Kraft das Pappschild in die Höhe. „3.700 Euro“ steht darauf, es ist der Hauptgewinn. Aus den Boxen dröhnt „The winner takes it all“, Frau Liese, die Agenturchefin, kommt quer über die Bühne auf sie zu, es ist Zeit für das Siegerfoto. Nadine rappelt sich hoch, sie fällt dieser fremden Frau um den Hals, klammert sich an sie. Ihr magerer Körper zuckt, die Nase läuft, sie kann es einfach nicht fassen. Sie hat gewonnen. Jetzt kann sie es endlich allen sagen, sie schluchzt ins Mikrofon: „Ich will mir von dem Geld meinen großen Traum erfüllen, nämlich wieder Frau zu sein. Ich werde mir die Brust operieren lassen!“ Margarete Liese – die Sponsorin – lächelt tapfer zu diesen Worten. Genau das sollte keine der Kandidatinnen sagen, schon gar nicht die Gewinnerin.

„Das soll ich nicht sagen“, raunt Nadine Leier vier Stunden zuvor auf die Frage, ob sie sich im Falle eines Sieges ihre Brüste vergrößern lassen wird. Sie grinst wagemutig auf ihren flachen Busen hinunter, „Ein Herz für Möpse“ steht rosa auf weiß auf ihrem Top. Es ist kurz vor Mitternacht, gleich wird sie mit den anderen Kandidatinnen auf die Bühne der Diskothek „Inkognito“ treten, sich dem Publikum und der vierköpfigen Jury stellen. Ihre Chance, zu gewinnen, ist im Lauf der letzten Woche kräftig gestiegen. Von dreizehn Bewerberinnen sind acht wieder abgesprungen, ihnen ist die Sache zu heiß geworden. Die verbliebenen fünf Frauen zwischen 21 und 37 Jahren wetteifern um eine Brustoperation in Polen. Das weiß jeder hier. Nur sagen, sagen darf es keine.

Nachdem nämlich die Cellesche Zeitung über das „Gewinnspiel um eine Brustoperation“ berichtet hatte, waren die Veranstalter mächtig unter Druck geraten. „Kämpfe um deinen Traum! Sei dabei und gewinne eine Brust-Vergrößerung (oder Verkleinerung) im Wert von 3.700 Euro!“ stand auf den „Inkognito“-Flyern und -Plakaten. Von Tauziehen und Karaoke war die Rede. Von einem „Erschreck dich nicht“-Spiel, bei dem die Frauen mit verbundenen Augen Titten-Luftballons zerbeißen sollten. Davon, dass sie vor einer Jury den Satz „Ich will neue Brüste, weil …“ vervollständigen sollten. Ein knallbunter Abend sollte es werden, ein Partygag, richtig gute PR für „Du bist schön“, Margarete Lieses Agentur, die Kundinnen an eine Schönheitsklinik im polnischen Poznań vermittelt. Aber das Ding ist voll nach hinten losgegangen.

Nicht nur dass Celles Gleichstellungsbeauftragte das Spektakel als „würdelos und menschenverachtend“ klassifizierte, es meldeten sich auch gleich noch die niedersächsische Ärztekammer, die Deutsche Gesellschaft der Plastischen Chirurgen und die Wettbewerbszentrale. 6.000 Euro Strafe drohte man der Agentur an, weil es verboten ist, medizinische Leistungen zu verlosen. Chefin Margarete Liese unterschrieb eine Unterlassungserklärung, und auf den Plakaten wurde aus der Brust-OP ein „Beauty Package“, das „sämtliche kosmetischen Leistungen“ umfasst. Ab sofort war nur noch von Nagelmodellagen, Maniküre, Pediküre, Profi-Make-up und Wimpernverlängerung die Rede. Das Wort „Brust-OP“ durfte nicht mehr fallen.

„Bisschen TÜV und ASU“

Das hat man offenbar vor Beginn des Wettbewerbs auch den Kandidatinnen deutlich gemacht. Auf die Einstiegsfrage des Moderators sollen alle darlegen, warum sie sich vor anderthalbtausend immer betrunkener werdenden Partygästen um Geld rangeln. Wofür sie die 3.700 Euro wirklich verwenden wollen, sagt keine, sie mogeln sich so durch. Tatjana Maier sagt: „Weil ich es unter vielen Bewerbern bis hierher geschafft habe.“ Sabina Zerner: „Ich möchte mir einen großen Wunsch erfüllen.“ Nadine Leier sagt, „es ist mein großer, großer Traum“. Die 27-jährige Simone Löh erzählt, ihr Mann habe ihr geraten, sich zu bewerben. Und Claudia Eichner schließlich erklärt, als achtfache Mutter habe sie sich doch „bisschen TÜV und ASU“ verdient. Es ist banal.

Und das bleibt es auch. Womöglich haben die Veranstalter geglaubt, an diesem Abend Partygeschichte schreiben zu können. Aber die Leute sind über das platte niedersächsische Land zum Tanzen hergekommen, nicht zum Glotzen und Labern. „Ich find’s öd“, sagt der 23-jährige Benjamin. Letzte Woche wäre die Mottoparty viel cooler gewesen, da seien Autos geschrottet worden. Um fünf Frauen zuzuschauen, hätte er nicht bei Wind und Wetter von Hannover nach Celle fahren müssen.

Tatsächlich ziehen sich die vier Stunden bis zur Entscheidung. Nach der Vorstellungsrunde posieren die fünf leicht bekleideten und stark geschminkten Frauen vor einem Fotografen – es ist der Programmpunkt „Professionelles Shooting“. Die Kandidatinnen geben sich Mühe. Claudia lutscht an ihrem Zeigefinger, Tatjana macht einen Kussmund, Nadine bleckt ihre Zunge. Unter den Beat mischt sich Frauenstöhnen vom Band, vor der Bühne stehen vier Männer mit hochroten Gesichtern, ihre Eier haben sie fest im Griff.

Nächster Punkt: Karaoke. Sabine macht ihre Sache gut, „Das ist Wahnsinn“, johlt sie ins Publikum, „Höllehöllehölle!“, schallt es zurück. Claudia ruft: „Hey baby! Uh! Ah!“, Tatjana singt: „Killing me softly“. Lustiger wird dieser Abend nicht mehr. Gäste nehmen die Auftritte mit ihrer Handykamera auf, man denkt an YouTube.

Gleich ist Nadine dran. Sie weint, sie hat vergessen, was sie singen soll. Sie ist kurz davor schlapp zu machen, aber sie will das jetzt schaffen! Nach dem Karaoke fliegen drei Frauen raus, unter denen will sie nicht sein. „Guck mich an“, sagt sie und deutet auf ihre Brust, „ich habe Körbchengröße garnicht.“

Dann entert sie im Blindflug die Bühne, „Verliebt, verlor’n“ heißt ihr Song. Sie schreit den Text, er ist ihr wieder eingefallen. Sie und Claudia, die achtfache Mutter, kommen ins Finale.

Ab jetzt geht alles ganz schnell. Es ist kurz vor drei, einer der vier Juroren ist längst gegangen, die anderen plaudern angeregt, und das Publikum will endlich einfach nur tanzen. Der Moderator führt zwei Go-go-Tänzer auf die Bühne, Claudia und Nadine sollen ihre Oberkörper mit Fingerfarbe bemalen. Die beiden Männer versuchen, während die Frauen unter dröhnender Musik ihre Haut grün, gelb und rot beschmieren, körpersprachlich etwas wie sexuelle Stimulation anzudeuten. Sie schließen halb die Augen, wippen in den Knien, kippen ihre Becken vor und zurück, ihre Oberkörper winden sich. Nach einer Minute können sie aufhören. Die beiden Finalistinnen stellen sich vor der Jury auf. Jetzt gilt es.

Nadine Leier fasst sich noch mal ein Herz. Sie bückt sich und grapscht einem der Tänzer von hinten zwischen den Schenkeln hindurch in den Schritt. Sie lacht. „Nadiiiiien!“, schreit der Moderator den Namen der Gewinnerin ins Mikro.

Sie hat es geschafft. Sie geht in die Knie.