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Archiv-Artikel

ETA-Wahlhilfe für Spaniens Konservative

Spaniens Sozialisten wollten das links regierte Katalonien als Modell darstellen. Jetzt wird es dank ETA zur Belastung

Seit Mittwochnachmittag ist klar: Ein Menschenleben im nordspanischen Katalonien ist mehr wert als etwa in Madrid. Das ist die wichtigste Schlussfolgerung, die sich aus der Ankündigung eines Waffenstillstands für die Region rund um Barcelona seitens der bewaffneten baskischen Separatistengruppe ETA ziehen lässt. Das allein wäre schon schlimm genug. Doch ETA hat weit mehr erreicht. Die Gruppe, die vergangenes Jahr über 150 Verhaftungen erlitt und so in die tiefste Krise ihrer Existenz geriet, bestimmt über Nacht das politische Leben in Spanien. Mitten im Wahlkampf für die Parlamentswahlen vom 14. März gibt die regionale Waffenruhe den regierenden Konservativen Rückenwind und lässt die sozialistische Opposition (PSOE) erneut in der Wählergunst absacken.

Denn ETA verkündete den selektiven Waffenstillstand sechs Wochen nach einem Geheimtreffen mit dem katalanischen Politiker Josep Lluis Carod. Der ist Chef der linksnationalistischen Esquerra Republicana de Catalunya (ERC), die in Katalonien zur sozialistischen geführten Koalitionsregierung zählt. Carod war bis zum Bekanntwerden seines ETA-Treffens Nummer zwei dieser Regierung. Dann trat er nach langem Zögern zurück.

Die sozialistische PSOE hoffte, die Krise sei damit beendet. Doch nach der Erklärung des regional begrenzten Waffenstillstands bricht das politische Gewitter jetzt über den PSOE-Kandidaten José Luis Zapatero herein. Die in Madrid regierende Volkspartei (PP) von José María Aznar und deren Ministerpräsidentschaftskandidaten Mariano Rajoy nutzt erstmals in der Geschichte der 25 Jahren jungen spanischen Demokratie ein ETA-Kommunique als Wahlhilfe.

Das staatliche Fernsehen übertrug in voller Länge das ETA-Video, auf dem zwei Vermummte den Waffenstillstand verlasen. Solche Bilder wurden früher nie gezeigt. Gleich im Anschluss forderten PP-Politiker die Sozialisten auf, mit ERC zu brechen. Andernfalls würde die PP den mit den Sozialisten vor Jahren geschlossenen Pakt gegen den Terrorismus aufkündigen. Ein Pakt gegen ETA und eine Koalition mit einer Partei, die mit den baskischen Separatisten geheim verhandelt, seien unvereinbar.

Auch bei der Sozialisten sehen dies viele so. Von verschiedenen regionalen Vorsitzenden sowie von Exparteichef und Exministerpräsident Felipe González musste sich der Chef der katalanischen Autonomieregierung, der Sozialist Pasqual Maragall, schwere Vorwürfe anhören. Zu lange habe er gezögert, bis er Carod nach dem Treffen entließ. Und statt den Koalitionspartner aufzufordern, endgültige Schritte gegen Carod einzuleiten, bot Maragall diesem gar an, nach den Wahlen in die Autonomieregierung zurückzukehren.

Zapatero, der Maragall ebenfalls aufforderte „politische Konsequenzen zu ziehen, falls dies ERC nicht tut“, steht vor einem Scherbenhaufen. Viele zweifeln jetzt an seiner innerparteilichen Autorität. Außerdem wollte Zapatero die katalanische Regierung mit ihrer mutigen Sozialpolitik beim spanienweiten Wahlkampf als Modell vorführen. Stattdessen dient die Nordregion, die erstmals seit den 30er-Jahren wieder von der Linken regiert wird, jetzt den Konservativen als Beispiel: Sie lassen keine Gelegenheit aus, um vor dem Chaos zu warnen, das Spanien im Falle eines Wahlsiegs einer pluralistischen Linke erwarten würde. REINER WANDLER