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Archiv-Artikel

Die Charaktere nicht verraten

In dieser Woche startet Züli Aladags Debütfilm „Elefantenherz“ auch in Hamburg: Ein Gespräch mit dem Regisseur über die Herausforderung Boxerfilm, Teamwork mit den Schauspielern und das Miteinander von Deutschen und Migranten

Interview: CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

taz hamburg: Das Drehbuch zu Elefantenherz lag dem WDR schon vor, bevor du als Regisseur dazukamst. Es erzählt eine Coming-of-age-Geschichte in einer Duisburger Arbeitervorstadt. Aber es sah auch einen Boxerfilm vor. Hattest du kein Muffensausen, dich angesichts von Filmen wie Robert Rossens Body and Soul oder Scorseses Raging Bull an dieses Subgenre zu wagen?

Züli Aladag: Dass es sich auch um einen Boxerfilm handelte, fand ich eine große Herausforderung. Ich verehre Scorsese und würde mir niemals anmaßen, mich mit ihm zu vergleichen. Ich wollte nicht den Boxerfilm neu erfinden, aber eine der Geschichte und dem Protagonisten eigentümliche Sprache fürs Boxen entwickeln. Ich bin selbst drei Monate zum Boxtraining gegangen, um das Milieu zu studieren. Später bei der Planung und Umsetzung der Kämpfe haben meine Kamerafrau Judith Kaufmann und ich Wert darauf gelegt, eine Balance zwischen Nähe und Bewegung und stilisierten Momenten herzustellen.

Du hast das Drehbuch zusammen mit Jörg Tensing nochmal komplett überarbeitet. Gab es auch eine Zusammenarbeit mit seiner Autorin Marija Erceg?

Marija Erceg hatte sich auf eigenen Wunsch gänzlich aus dem Projekt verabschiedet. Als ich dazukam, galt es einen eigenen Zugang zur Geschichte und zu den Figuren zu finden. Das Vater-Sohn-Thema interessierte mich von Anfang an, aber auch in der Figurenkonstellation steckte großes Potenzial. Jörg und ich mussten dennoch bei null anfangen, neu strukturieren, charakterisieren und eine neue Geschichte schreiben. Die Hauptfigur hat sich stark verändert, aber auch sein deutsch-türkischer Freund Bülent. Das Figurenensemble haben wir ausgedünnt, um den Nebensträngen mehr Raum zu geben. Mir war vor allem wichtig, meine Charaktere nicht zu verraten, ob es nun um den gescheiterten, trunksüchtigen Vater ging oder um den zwielichtigen Hermsbach. Jede Figur sollte ihren Raum und ihren kleinen Entwicklungsbogen bekommen.

Du hast bei der Ausarbeitung des Drehbuchs eng mit den Schauspielern zusammengearbeitet. Haben die Schauspieler nicht zunächst ablehnend reagiert?

Es ist eher eine Zumutung für Schauspieler, nicht mit ihnen zu arbeiten. Mit den meisten Schauspielern habe ich im Vorfeld eine Lesung gemacht und geprobt. Überflüssige Dialoge, selbst noch in der Drehphase, ausgedünnt, gestrichen, geändert. Ein Blick, eine Geste oder ein Bild sagen oft mehr als Worte. Für mich ist die Arbeit mit den Schauspielern elementar, da von ihrer Darstellung die Glaubwürdigkeit der Charaktere abhängt. Alle Schauspieler empfanden diese Arbeitsweise als bereichernd.

Andererseits mussten sich die Schauspieler beim Dreh in ungewöhnlicher Weise auf dich und die Kamera von Judith Kaufmann verlassen. Ihr Spiel, auch das von Daniel Brühl als Hauptfigur Marko, ist sehr zurückgenommen. Sie lassen es zum Beispiel zu, dass im fertigen Film Ausstattung und Farben viel über sie verraten oder dass das Verhältnis zwischen Markos Mutter und ihrem Mann weniger über die Dialoge als durch die Weise, in der sie eine Zigarette raucht, deutlich wird ...

Ich hatte das Glück, hervorragende Schauspieler für den Film gewinnen zu können. Niemand wollte sich da in den Vordergrund spielen. Die Schauspieler haben uns absolut vertraut. Und es war allen klar, dass ich keinen improvisierten Dogma-Film drehen wollte, sondern dass es auf eine Komposition aller gestalterischen Elemente hinausläuft. Wir wussten zwar damals noch nicht, ob der Film ins Kino kommen würde, es handelte sich ja um ein Debütprojekt in der „Six Pack“-Reihe, die WDR und Filmstiftung NRW initiiert haben. Aber wir wollten in jedem Fall einen Spielfilm machen, der auch auf der Leinwand bestehen kann.

Du hast mal gesagt, du wolltest universelle Geschichten erzählen. Gleichzeitig hast du dich mit dem Film ins Arbeitermilieu begeben und den Migranten, die dort leben, viel Raum gegeben ...

Das Universelle an einer Geschichte kann man in jedem Milieu finden. Bei meinen Recherchen in den Amateurclubs und bei Boxturnieren habe ich einfach festgestellt, dass das Boxen immer noch ein Underdog-Sport ist. In den Clubs trainieren sehr viele Migranten, unter ihnen sehr viele Türken. Bei den Turnieren ist fast jeder Zweite ein Kind türkischer Eltern.

Hast du angesichts dessen mal überlegt, Marko von einem türkischen Darsteller spielen zu lassen?

Marko sollte unbedingt ein deutscher Junge bleiben. Ich wollte weder ihn, noch seine Familie türkifizieren. Für mich war es spannender, das Miteinander von Deutschen und Migranten zu spiegeln.

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