: Der Primat des Proll-Humors
Rock wie am ersten Tag: Joachim Deutschlands Debütalbum „Musik wegen Frauen“
Da hat sich einer Mühe gegeben. Hat seinen Arsch entblößt, hat „Drecksau“ gesungen, „ficken“ und andere böse Wörter, hat sich Metall durch die Lippen gezogen, hat der Familie Stoiber Inzest angedichtet und gab sich den Namen Deutschland trotz gekräuselter Afro-Haare, kurz: hat um jeden Preis auffallen wollen. So war es auch in Hamburg, als Joachim Deutschland, Kandidat des Sony-Konzerns, bei der Vorstellung der Grand-Prix-Aspiranten in Schmidts Tivoli mit zwei Stripperinnen erschien, sein zugegebenermaßen knackiges Gesäß kurz enthüllte und ebenso prompt wie wahrscheinlich erwartet vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde. Immerhin: Das garantierte eine größere mediale Aufmerksamkeit, als es eine Platzierung im gesicherten Mittelfeld je hätte tun können.
Gerade noch rechtzeitig, um von der Publicity nach dem Vorvorrundenaus beim Schlagerwettbewerb profitieren zu können, erscheint dieser Tage nun Joachim Deutschlands Debütalbum mit dem programmatisch zu verstehenden Titel „Musik wegen Frauen“. Sau, Schlampe, Luder, Früchtchen, Weib nennt er auf dieser Platte die Objekte seiner Begierde, aber wirbt dann wieder ums andere Geschlecht in einer netteren, wenn auch primitiven Poetik, die den Eindruck vom Tier im Manne noch einmal verstärken darf. Dieser Eindruck wird im Videoclip zur aktuellen Single „Marie“ inszeniert mit Piercings, einem durchtrainierten Oberkörper, der unter Tierfellen zum Vorschein kommt, und eben jenen Rockstarposen, die jeder Mann, wenn er ehrlich ist, einst als Heranwachsender mit dem Federballschläger vor dem Spiegel einübte.
Musikalisch rekapituliert der 22 Jahre alte Stuttgarter, der seinen Familiennamen geheim hält, die goldenen Zeiten der Gitarre. Dass der Papa Jazzer und der Opa Komponist gewesen sein sollen, ist garantiert nicht zu hören: Zwischen Hard Rock und Punk rotieren die Riffs fröhlich und wie frisch erfunden, könnten dabei doch von AC/DC oder den Buzzcocks sein. Das ist in seiner Schlichtheit durchaus peppig, findet unglaublich eingängige Melodien und geht gut ab. „Musik für Frauen“, das muss man einfach zugeben, ist eine wirklich gute Platte. Eine prollige Platte, aber gelungener Rock muss per definitionem wohl prollig sein.
Nun allerdings ist Rock dieser Tage nicht mehr richtig böse. Aber nicht nur deshalb ist Joachim Deutschland doch eher niedlich. Selbst sein Dasein als Afrodeutscher im blütenweißen Rockgeschäft thematisiert er nicht in seinen Texten, sondern konterkariert es nur – und das recht elegant – durch sein Pseudonym. Darüber hinaus interessiert ihn anderes: „In der U-Bahn fahr ich immer schwarz“, singt er. So so. „Vielleicht denkst du, ich hab eine Meise, vielleicht bin ich dir auch nur zu hart. Ich tu, was ich will.“ Die Leck-mich-am-Arsch-Haltung mag zwar authentisch sein, auf diesem Niveau. Aber mit einem multinationalen Medienkonzern im Rücken gerinnt sie flugs zur Pose und verkommt zu einem Versuch in verzweifelter Auflehnung. Armer Deutschland.
THOMAS WINKLER
Joachim Deutschland: „Musik wegen Frauen“ (Chet/Sony)