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Archiv-Artikel

Anklage wegen Drohung mit Polizeifolter

Eineinhalb Jahre nach dem Mord an dem 11-jährigen Jakob von Metzler erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Frankfurter Polizei-Vize Wolfgang Daschner und einen Kommissar. Dem Entführer des Kindes war mit Folter gedroht worden

AUS FRANKFURT AM MAIN CHRISTIAN RATH

Wenn die Polizei Folter androht und plant, dann hat dies am Ende doch rechtliche Konsequenzen. Nach mehr als einjährigen Ermittlungen wurde gestern der Frankfurter Polizei-Vize Wolfgang Daschner vorläufig seines Amtes enthoben. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen ihn und einen weiteren Polizisten Anklage erhoben.

Im Oktober 2002 suchte die Polizei fieberhaft nach dem entführten 11-jährigen Bankierssohn Jakob von Metzler. Festgenommen hatte sie zwar den Studenten Magnus G., der das Lösegeld abholte. Doch G. schwieg oder lockte die Polizei auf falsche Fährten. Nach stundenlangen erfolglosen Verhören traf Daschner, der davon ausging, dass das Kind noch lebte, eine dramatische Entscheidung. Dem Entführer sollten Schmerzen angedroht und notfalls zugefügt werden, „wie er sie noch nie erlebt“ habe. Um die Drohung notfalls wahr zu machen, wurde extra ein kampfsportgeübter Polizist herbeigeholt. Die Folter sollte gefilmt und von einem Arzt überwacht werden. Doch letztlich blieb es bei der Drohung. Der Student hielt dem Druck im Verhör mit Kriminalhauptkommissar E. nur zehn Minuten stand, dann führte er die Beamten zur Leiche des entführten Jungen.

Daschner hielt den Vorfall in einem Aktenvermerk fest und verteidigte sein Vorgehen in mehreren Interviews („Ich würde es wieder so machen“). Als der Vermerk Anfang 2003 bekannt wurde, leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein. In der Öffentlichkeit fand Daschner aber viel Verständnis. Ausgerechnet der damalige Vorsitzende des Deutschen Richterbunds Geert Mackenroth sagte, Folter könne „zur Rettung höherwertiger Rechtsgüter“ in Ausnahmefällen „erlaubt“ sein.

Diesen Überlegungen hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft nun eine klare Absage erteilt. Sie erhob gegen den 50-jährigen Kommissar Anklage wegen „Nötigung in einem besonders schweren Fall“ und gegen Daschner wegen „Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat“. Beiden droht Haft von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Staatsanwalt Wilhelm Möllers hielt es für ausgeschlossen, dass sich Polizisten im Verhör auf einen „rechtfertigenden Notstand“ berufen können. „Die Befugnisse der Polizei sind in der Strafprozessordnung und in den Polizeigesetzen der Länder abschließend geregelt.“ Dort heißt es übereinstimmend, dass Aussagen nicht durch Misshandlungen erzwungen werden dürfen. Außerdem komme eine Rechtfertigung schon deshalb nicht in Betracht, weil Folter im Grundgesetz sowie in völkerrechtlichen Verträgen geächtet ist. Daschners Anwalt hingegen hält das Verhalten seines Mandanten für „notwendig und verhältnismäßig“. Man könne „doch nicht warten, bis ein Kind qualvoll stirbt“.

Über die Zulassung der Anklage muss nun das Landgericht Frankfurt entscheiden. Die Staatsanwaltschaft hat den Fall dort – statt beim Amtsgericht – angeklagt. Sie begründete dies mit der Bedeutung und „Einmaligkeit“ des Falles sowie der hohen Polizei-Stellung Daschners.

Im Vorfeld war teilweise eine Anklage wegen „Aussageerpressung“ (statt Nötigung) erwartet worden, dann hätte eine höhere Strafe von 1 bis zu 10 Jahren gedroht. Doch gilt diese Vorschrift nur im Ermittlungsverfahren, nicht für sonstiges Polizeihandeln. „Herr Daschner wollte nicht ein Geständnis erpressen, das ohnehin vor Gericht nicht verwertbar gewesen wäre“, so die Begründung von Staatsanwalt Möllers, „ihm ging es bei seinem Vorgehen nur um die Rettung des Kindes“. Die lange Dauer der Ermittlungen rechtfertigte Möllers unter anderem damit, dass er alle Zeugen selbst vernehmen musste und dies nicht der Polizei überlassen konnte.

Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU) reagierte gestern prompt. Er enthob Daschner seines Amtes und versetzte ihn ins Landeskriminalamt nach Wiesbaden, wo er „bis auf weiteres“ verwaltungsinterne Aufgaben übernehmen soll.