Sitcom macht einsam

Was passiert, wenn Sat.1 und RTL gleichzeitig Comedy-Offensiven starten, um den Freitagabend (noch) witziger zu machen? Man fühlt sich wie allein am Kneipentresen – mit ‘nem schalen Bier

von CHRISTIAN BUSS

Eine Sitcom ist wie ein Feierabendbier. Man schaltet den Fernseher ein, so wie man nach der Arbeit am angestammten Tresen Platz nimmt. Die Zapfhahnsaga „Cheers“ ist deshalb die reinste aller Sitcoms. Sie beweist, dass in den ritualhaften Wiederholungen, die das TV-Format prägt, alle erdenklichen psychosozialen Konflikte durchgespielt werden können. Die reinigende Kraft einer Sitcom sollte man nie unterschätzen – genauso wenig wie die heilende Wirkung eines Feierabendbieres.

Wer aber braucht schon ein Feierabendbier, wenn er arbeitslos ist? Und warum wird hierzulande eine Sitcom nach der anderen an den Start gebracht, obwohl immer mehr Leute auf der Straße stehen? – Wenn RTL und Sat.1 nun in einer konzertierten Aktion den Freitagabend immer mehr zur Comedy-Zone ausweiten, kann das nur schale Gefühle hinterlassen. Wer gegen Mitternacht den Fernseher ausschaltet, kommt sich vor, als hätte er den Tag über alleine in der Kneipe gehockt. Gute Sitcoms simulieren soziale Ereignisse – deutsche Sitcoms machen einsam.

Das befürchten wohl auch die Verantwortlichen von Sat.1, die heute gleich mit drei neuen Produktionen starten: Damit sich der Zuschauer nicht ganz so alleine fühlt, unterlegen sie den schwulen WG-Schwank „Bewegte Männer“ (22.15 Uhr) mit Lachern aus der Konserve. Das ist nicht so verwerflich, wie häufig moniert wird, denn richtig eingesetzt können die Dosenbrüller schon narrative Eleganz entwickeln.

Schwule Tonlage?

Nicht so jedoch in der Sat.1-Serie, die als Spin-off des Kinohits „Der bewegte Mann“ konzipiert wurde. In den unpassendsten Moment krakeelt und kichert es aus dem Off. Was zum einen damit zu tun haben könnte, dass die Produzenten gekünsteltes Krakeelen und Kichern für eine gängige Tonlage im schwulen Milieu halten. Zum anderen ist es aber auch darauf zurückzuführen, dass keine Pointen auszumachen sind. Es sei denn, man amüsiert sich über gespreizte Fingerchen und quietschende Bettchen.

Auf den ersten Blick scheint es, als böte Sat.1 die Comedysierung des Freitags die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Zuschauer einzusammeln. Denn die netto höchstens 25 Minuten langen Sendungen, die heute zwischen 20.15 und 23.15 Uhr zu sehen sind, lassen sich risikolos auf alle möglichen Gesellschafts- und Altersschichten ausrichten. Schon Anfang des Jahres versendete Sat.1 (allerdings erfolglos) die Kindersketchparade „Comedy Kids“; vor kurzem wurde der Greisen-Nonsens „Alt und durchgeknallt“ gestartet. Was auf den ersten Blick wie perfekt austariertes Splittergruppenfernsehen wirkt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung aber wieder nur als Offensive auf die werberelevanten Jahrgänge. Verräterischerweise bejubelte die TV-Schmiede Brainpool, die „Alt und durchgeknallt“ produziert hat, per Presseerklärung den fantastischen Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen.

Letztendlich wirken die neuen Sat.1-Sendungen genormt. Sie sollen offensichtlich jenes Segment arrivierter Zuschauer binden, das einst mit Anke Engelkes „Ladykracher“ geködert wurde. Man schielt auf die Besserverdienenden. Aber mal ehrlich: Wo gibt es noch Besserverdienende? So wirken die beiden geschmackvoll ausstaffierten Sitcoms, die heute als Backdoorpiloten ins Rennen geschickt werden, unzeitgemäß: In „Ein Gauner namens Vater“ (20.15 Uhr) muss sich eine verbiesterte, aber erfolgreiche Juristin mit den Frigiditätsvorwürfen ihres lustwandelnden Erzeugers rumschlagen. Und in „Große Jungs“ (20.45 Uhr) versucht ein Buchhändler (Kai Lentrodt aus „Ladykracher“) die Paarungsgewohnheiten des anderen Geschlechts zu verstehen.

In beiden Produktionen werden die üblichen Missverständnisse abgespult; sie gehorchen den Regeln der romantischen Komödie, mit der man in schlechten Zeiten durch umständliches Hormongeplänkel von mangelnder Prosperität ablenkt.

Stammtisch-Ordnung

Da loben wir uns RTL. Hier wird weiterhin die Proll-Unterhaltung hochgehalten. Man wird das Gefühl nicht los, die beiden großen Privatsender hätten den Comedy-Markt im Einvernehmen untereinander aufgeteilt. Denn während Sat.1 auf distinguiert macht, fährt der Konkurrent erneut mit den bekanntensten Schamhaarfrisuren des Landes auf: In einer weiteren Staffel von „Alles Atze“ (21.45 Uhr) sorgt Atze Schröder in seinem Kiosk mit Stammtisch-Prosa für Ordnung, Kalle Pohl indes geht erstmals mit einer eigenen Comedy auf Sendung. Pohl sieht bekanntlich aus wie ein in die Jahre gekommener Pudel, doch während er sich in „7 Tage – 7 Köpfe“ als Wadenbeißer aufspielt, entwickelt der Klamauk-Kläffer für „Kalle kocht“ (21.15 Uhr) nun eine gewisse tragikomische Größe.

Er mimt einen Gourmetkoch, der durch die Umgestaltung seines Arbeitsplatzes zum Frittenbrater degradiert wird. Fortan kämpft der Küchenchef nicht nur erfolglos für ein erfülltes Privatleben, sondern auch noch gegen eine Geschäftsführerin, die ihm mit Kündigung droht.

Da kommt die deutsche Sitcom ganz unerwartet in der Wirklichkeit an.