: Lokführer wollen Piloten sein
Arbeitsgericht entscheidet heute, ob Lokomotivführer sich eigenen Tarifvertrag erkämpfen dürfen. Vorbild sind die hohen Löhne bei Lufthansa. Es geht um die komplizierte Deutung von „Tarifeinheit“. Bahn fürchtet Kosten und Sonderstreiks
von CHRISTIAN RATH
Das Arbeitsgericht Frankfurt wird sich heute damit befassen, ob die Lokomotivführer bei der Bahn für einen eigenen Tarifvertrag streiken dürfen. Die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) will künftig wie die Piloten bei der Lufthansa einen eigenen Spartentarifvertrag abschließen. Nach ihrer Ansicht haben die großen Gewerkschaften transnet (im DGB) und GDBA (im Beamtenbund) zuletzt die Interessen der Lokomotivführer schlecht vertreten. Das Beispiel der Pilotenvereinigung Cockpit, die im Sommer 2001 bei der Lufthansa Gehaltssteigerungen von knapp 20 Prozent aushandelte, dürfte aber auch Anreiz für den Alleingang gewesen sein.
Bei der Bahn will man die Ambitionen der Lokführer bremsen. Neben teuren Sonderabschlüssen fürchtet man außerdem viele störende Arbeitskämpfe, wenn künftig jede Berufsgruppe für sich verhandelt. „Wir haben bereits mit transnet und GDBA Tarifverträge abgeschlossen“, argumentiert die Bahn, „Streikmaßnahmen für einen weiteren Tarifvertrag sind daher von vornherein unzulässig.“
Das Frankfurter Arbeitsgericht muss nun entscheiden, ob mehrere Tarifverträge parallel wirksam sein können. Die Bahn pocht auf das Prinzip der „Tarifeinheit“, das vom Bundesarbeitsgericht entwickelt wurde. So soll in Betrieben, die in den Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge fallen, nur der Vertrag gelten, der dem Betrieb „räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich“ am nächsten steht. Dieses Prinzip könnte allerdings auch so ausgelegt werden, dass ein spezieller Tarifvertrag für Lokomotivführer in dieser Berufsgruppe den allgemeinen Tarif für Bahnbeschäftigte verdrängt.
Ohnehin ist das Prinzip der Tarifeinheit umstritten. Viele Arbeitsrechtler, wie die Hannoveraner Professorin Ulrike Wendeling-Schröder, halten es sogar für verfassungswidrig. Es verstoße gegen die im Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit, wenn ein ausgehandelter Tarifvertrag als unwirksam gelte, nur weil es einen weiteren Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft gebe.
Relevant war der Streit bisher vor allem dann, wenn ein Unternehmen mit einer Konkurrenz-Gewerkschaft einen günstigeren Haustarifvertrag vereinbarte, um einen Flächentarifvertrag zu unterlaufen. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen entschied, dass in solchen Fällen der Flächentarifvertrag für die entsprechenden Gewerkschaftsmitglieder weiter gilt. Dies war eine bewusste Abkehr von den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts.
Bisher hat die Gerichte jedoch noch nicht beschäftigt, dass sich Funktionseliten wie Piloten und Lokomotivführer eigene Tarifverträge erstreiken. Die Lufthansa hat die Pilotenvereinigung Cockpit als Verhandlungspartner akzeptiert und auch Ver.di ist gegen den Alleingang nicht vorgegangen.
Es wird erwartet, dass das Gericht heute noch am frühen Abend mitteilt, ob die Lokomotivführer für einen eigenen Tarifvertrag streiken dürfen. Die unterlegene Seite kann in diesem Eilverfahren allerdings noch das Landesarbeitsgericht anrufen.