: Die Woche der Entscheidung
Mit SPD-Kanzler Schröder im CCH begann der Endspurt im Hamburger Wahlkampf, in dem Ole von Beust bereits wie der sichere Sieger aussieht. Joschka Fischer soll das ändern, Angela Merkel tut es vielleicht. Schill und FDP kämpfen ums nackte Überleben
VON SVEN-MICHAEL VEIT
Es ist die hohe Zeit der Sprücheklopfer. „Thomas macht die Kinder froh, und die Eltern ebenso“ dichteten Jusos zur Feier sozialdemokratischer Kita-Politik beim Wahlkampfhöhepunkt der SPD mit Bundeskanzler Gerhard Schröder am Freitagabend im CCH. Als „Plutonium-Dealer“ wegen des eventuellen Verkaufs der Hanauer Atomfabrik an China geißelten ihn am selben Ort Aktivisten von Greenpeace, Studierenden wurde ihr transparenter Protest „Kanzler. Kapital. Konkurrenz. Nein zu Bildungs- und Sozialabbau“ weggenommen: Der Wahlkampf in der Hansestadt geht in den Endspurt, bei manchen liegen darob die Nerven blank.
Zuvörderst bei den Sozialdemokraten, die gegen einen offenbar übermächtigen Bürgermeister Ole von Beust kaum noch eine Chance zu haben scheinen. Frustierend ist ihre Kampagne bisher gelaufen, die seit Wochen stabil prognostizierten 30 Prozent sind zum Sterben noch zuviel, zum Regieren aber wahrscheinlich viel zu wenig, ihr Kandidat Thomas Mirow liegt in der Beliebtheitsskala weit hinter dem Titelverteidiger. Etwa zwei Drittel der HamburgerInnen wollen Ole von Beust als Bürgermeister behalten, runde 45 Prozent auf jeden Fall CDU wählen: Der Mann, der mit mageren 26,2 Prozent und nur Dank Schill Regierungschef wurde, sieht bereits wie der sichere Sieger aus.
Hoffen darf die SPD allerdings noch auf Schützenhilfe von unerwarteter Seite. Am Donnerstag kommt CDU-Bundeschefin Angela Merkel beim Wahlkampfabschluss zum bereits dritten Mal nach Hamburg, und bei ihren Auftritten sind Aussetzer immer drin. Wie beim Medientreff in trauter Runde am vorigen Donnerstagabend: „Innere Sicherheit ist das Thema des 21. Jahrhunderts“, verkündete sie, neben von Beust – und offenbar auch neben sich selbst – stehend, und zerpflückte gleich noch dessen Lieblingsthema: „Was nützt die ‚Wachsende Stadt‘, wenn alte Menschen sich nicht mehr aus dem Haus trauen?“ Mühsam süßsauer lächelte von Beust, der das Thema Kriminalität seit Wochen sorgsam ausspart in der nicht unberechtigten Angst, dies würde nur Schill nützen.
Der Rechtspopulist kämpft derweil weiter gegen die Fünfprozent-Hürde wie auch die Liberalen. Etwa vier Prozent sagen Demoskopen beiden Parteien voraus, und beide sind selbstredend optimistisch, doch noch den Sprung ins Rathaus zu schaffen. Bei der FDP könnte dies mit Leihstimmen aus dem Unionslager klappen: „45 plus vier Prozent sind 45“, lautet die schwarz-gelbe Koalitionsarithmetik ihres Spitzenkandidaten Reinhard Soltau, „44 plus fünf aber sind 49“ – und damit eine sichere Mehrheit, selbst wenn auch Schill in die Bürgerschaft kommen sollte. „Sechs Prozent plus X“ lautet Soltaus Prognose, und zwei Senatorenposten für die FDP. Es sei „ein Fehler“ gewesen, sich in der Schwarz-Schill-Koalition mit einem Ressort zu begnügen, so Soltau im Gespräch mit der taz. Zumal Amtsinhaber Rudolf Lange ein Debakel anrichtete, aber das sagt Soltau natürlich nicht.
Kein Wunder also in dieser Situation, dass Mirow sich weiterhin die Option auf eine große Koalition offenhält. Das könne „zu guten Ergebnissen führen, wie in Bremen“, erklärte er gestern erneut. Sein Lieblingsmodell allerdings sei das nicht. Weiterhin betrachten sich SPD wie auch GAL gegenseitig als „natürliche“ Partner, sofern dies rechnerisch möglich ist. Bei etwa 14 grünen und 30 roten Prozenten mag es zwar zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Union reichen, bei mehr als drei Fraktionen in der Bürgerschaft jedoch kann Rot-Grün keine eigene Mehrheit schaffen.
Noch ein paar Stimmen für die GAL soll nun Joschka Fischer besorgen. An den Auftritt des beliebtesten deutschen Politikers morgen Abend im Schauspielhaus knüpfen sich grüne Hoffnungen auf den entscheidenden Schub in der Woche der Entscheidung. Immerhin 16,6 Prozent hatte die GAL bei der Bundestagswahl im September 2002 eingefahren. Eine Wiederholung könnte Rot-Grün in Hamburg erneut möglich machen – und Ole von Beust auf der Ziellinie doch noch abfangen.
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