piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ich trau dem Braten nicht“

Der Cartoonist Ralf König hat mit „Der bewegte Mann“ schwules Leben über die Szene hinaus populär gemacht – und zweifelt dennoch, ob die Toleranz von Dauer ist. Sein neuer Comic verhandelt also nicht zufällig das Thema der Homo-Ehe. Und: In „Sie dürfen sich jetzt küssen“ gibt es endlich ein Wiedersehen mit seinen Helden Konrad und Paul. Ein Besuch bei Ralf König in Köln

VON JAN FEDDERSEN

Weihnachten liegt Wochen zurück, aber, Gott sei Dank, die Tage werden langsam heller. Bald kommen die närrischen Tage zum Höhepunkt, Karneval, Ausnahmezustand in Köln, „wenn eine ganze Stadt in Schräglage gerät“. Der das sagt, zustimmend, erwartungsfroh, ist Ralf König, Cartoonist. In Deutschland der erfolgreichste, mit seinen Geschichten im Repertoire können sich Verlage, sonst auf Szeneastisches abonniert wie das Hamburger Unternehmen Männerschwarm, sanieren.

König ist der Erfinder der Knollennasen, Vater des Homo-Paars Paul und Konrad, der Mann, der schwules Leben auch für Heterosexuelle begreifbar gemacht hat. Der dafür keine Kompromisse schloss, schwules Leben nicht niedlicher machte, als es ist, es vielmehr drastisch und komisch in einem zeichnete. Man durfte – und konnte – plötzlich über Schwule lachen: weil man über Heteros und Heteras noch mehr lachen musste. Der Mann, der die Figuren der „Peanuts“ wie seine Geschwister liebt und Charles M. Schultz verehrt, erlöste das gewogene Publikum von der Idee, dass Schwule in erster Linie Mitgefühl verdienen, ein kaum zu unterschätzendes Verdienst. Kein Opferstatus, bitte!

Seit einigen Monaten wohnt er wieder in Köln, „und hier zieh ich auch nicht wieder weg“, sagt er. Er hatte es mal mit Berlin probiert, „als alle dachten, dass man da hin muss“. Aber er fand an der Hauptstadt nichts, was ihm das Leben schöner gemacht hätte.

Im Gegenteil, wie er in seiner Kölner Wohnung erzählt, in Berlin, wo er es nur „anderthalb Jahre ausgehalten“ habe, hätten ihm die Freunde gefehlt, die gewohnte Umgebung, und „irgendwie kälter“ sei es ihm dort auch vorgekommen. In Köln hingegen wäre die dunklen Tage des Jahres besser durchzustehen. „Ich schätze, das ist familienbedingt, dass ich im Winter eher zu Händel und Tee neige, und im Sommer testosteronbesoffen durch die Gegend laufe.“ Und Karneval sei eben in Köln das Datum, von dem an das Leben wieder losgehe.

König ist eine Legende, und das kann er mit 43 Jahren auch sein. Wie fein seine Beobachtungen ausfielen, merkt man, wenn man frühere Bücher liest. Und die Szene wiederfindet, in der zwei Junghomos, den Zumutungen des Heterosexuellen gerade einige Schritte entronnen, im Eiscafé sitzen und der eine seine Bestellung aufgibt: „Erstens sind wir schwul, und zweitens kriegen wir zwei Eisportionen gemischtes Eis.“ Die Serviererin, ganz cool: „Das Erste interessiert mich nicht, aber das Zweite mit oder ohne Sahne?“ Das war Ende der Achtziger haarfein das Lebensgefühl registriert, das damals in der Homoszene zu dominieren begann: Dass Schwules nicht mehr zwangsläufig Empfindungen der Selbstscham und der Diskriminierung provoziert.

Nun fragt sich der Cartoonist, ob er immer noch weiß, wie die Szene tickt. „Wenn man älter wird, ist das zwangsläufig – aber ich glaube, dass sich da nicht so viel geändert hat.“ Wobei, 43 Jahre alt zu sein, das sei „eigenartig“. Und das passe nicht zu seiner inneren Sicht. „Ich gewöhn mich langsam an die 40, da bin ich schon 43. Mein Vater sagt auch, das werde jetzt immer schneller, und das finde ich wenig komisch.“

Nimmt er Jugendliches noch wahr? „Ja, klar, ich muss mich ja vergewissern, was um mich herum passiert.“ Für seine Geschichte um die Homo-Ehe musste er recherchieren. Im Freundeskreis, in seiner Familie. Sogar eine Verpartnerung im Standesamt hat er besucht, „mein Ding wär das nicht, aber das Gesetz ist schon in Ordnung“. Man brauche es, wer es nutzen möchte, solle es tun. „Mich hatte diese ganze Homo-Ehen-Diskussion wenig interessiert, bis sie plötzlich als Möglichkeit da war.“ Aber wäre er freiwillig auf die Idee gekommen, den ganzen Hader um die homosexuellen Jaworte zu zeichnen? „Erst nicht, aber als ich mit anderen Projekten nicht richtig weiterkam, meinte Rowohlt, das ich unbedingt was zum Thema machen müsse. Und dann fing ich an, und es ging mir locker von der Hand.“

Wieder schneiden bei Ralf König die Mütter nicht gut ab, wie auch Frauen bei ihm immer etwas töricht wegkommen. Auf seiner Website antwortete König besorgten Kritikerinnen ironisch: „Man muss das realistisch sehen: Frauen sind ja aus dem heutigen Straßenbild einer modernen Großstadt nicht mehr wegzudenken.“ Was man jedem und jeder als politisch inkorrekte Flapsigkeit übelgenommen hätte, wird bei König verziehen – er schont ja sich selbst und sein Milieu auch nicht.

Dass die heutigen Jungschwulen vergessen zu haben scheinen, „dass das früher ne ziemliche Kraftanstrengung war“, als schon die Ausstrahlung eines eher spießigen Films wie „Die Konsequenz“ für einen Sittenskandal sorgte und Rosa von Praunheim als nicht gesellschaftsfähig galt. Als das Verteilen von Flugblättern homosexueller Vereine in Fußgängerzonen Ordnungsämter und wütende Passanten auf den Plan rief, und sich bis auf Mutige, wie eben auch König, niemand traute, offen als Schwuler oder Lesbe aufzutreten. „Ich fürchte, dass es kein Bewusstsein dafür gibt, wie es früher war. Ich trau dem Braten jedenfalls nicht. Wir leben in einer ziemlich guten Zeit, okay, aber diese Stimmung kann auch wieder zurückschlagen – wie eine Pendelbewegung.“

Natürlich, seine Besorgnis sei „nicht akut“, aber es sei schlimm genug, dass selbst bei CSDs Politik keine Rolle mehr spiele, fast alles „nur noch Tralala“.

Das klingt ja beinahe nach einem väterlichen Blick auf die selbstvergessenen Kinder. „Ja, kann sein, aber mich hat es beispielsweise total ärgerlich gemacht, als wir vor zwei Jahren beim CSD eine Ent-Stoiberungs-Kampagne gemacht haben“, eine klassische Straßenaktion mit den Mitteln der frühen Achtziger. „Und hinter uns stöckelte eine Transe, fette Wimpern, so’ne Pömps“ – König weitet dazu seine Arme zu einer Spannweite von gut einem Meter – „und nur die wurde wahrgenommen. Ich hab mich gefragt, hätt die nicht wenigstens ein Schild auf dem Rücken tragen können, ein Statement, aber nichts da, keine Information, nur ein ‚Seht, hier bin ich‘.“

Womöglich ist das der Preis für die besseren Zeiten, aber der sei hoch. Wohin man in den Medien gucke, vor allem in Film und Fernsehen, nur Klischees sieht Ralf König: „Dass auch Schwule über einen Film wie ‚Der Schuh des Manitu‘ lachen, ist mir unbegreiflich. Warum macht man sich lustig, wenn Heteros Schwules nur als tuntiges Getucke erkennen wollen? Und immer müssen wir gut drauf sein und wahnsinnig trendy.“ Wobei er einräumt, dass das vielleicht auch für öffentlich gefeierte Heterosexualität gälte, die werde, quasi als Rausch um nichts, ja auch rund um die Love Parade zelebriert.

König ist auf eine Art also ratlos. Er hat das Seine getan, um das den gay lifestyle vom Bemitleidenswerten zu befreien – und sagt dementsprechend: „Schwul zu sein, ist nicht alles.“ Mit 43 Jahren nun sieht der Cartoonist glänzend aus. Klein, fast raspelkurze Haare, drahtig auch dank sportlicher Übungen, zufrieden, wieder in Köln, just back in family, zu sein. Er sucht offenbar nach neuen Wegen und meint, er und andere würden die erste Homo-Generation verkörpern, für die Alter nicht automatisch Unsichtbarkeit und Einsamkeit bedeuten muss. „Und irgendwie wird es sich doch alles gelohnt haben.“

Man muss seinen neuen Comic gelesen haben. Man wird wieder sehr viel lachen, man wird, deutlich wie selten, Königs Engagement für Politisches erkennen, wird eine famose Nebengeschichte studieren können über einen türkischen Deutschen, der so seine Schwierigkeiten hat mit dem Schwulsein, gerade familiär. Irgendwie ist das alles eine tröstliche Art, die Wirklichkeit zu fassen. König mag Angst vor einem gesellschaftlichen Backlash formulieren. Seine Ehegeschichte von Konrad und Paul, der eine eine treue Seele, der andere ein Szenefreischärler, beide mit aller Liebe füreinander, ist der Beweis, dass das Bessere eine Chance hat.