: Breitensport statt Massenmord
Ballern als sozialer Akt: Der ehemalige „Counterstrike“-Vize-Europameister Rami Allouni kämpft für die offizielle Anerkennung von „Electronic Sports“
Beim Bremer Rami Allouni wäre soweit alles im grünen Bereich. Er hat einen sicheren Job, wohnt in einer netten WG in Findorff, hat einen großen Freundeskreis. Und er treibt regelmäßig Sport.
Doch gerade dafür musste der 25-jährige Systemadministrator schon einiges einstecken: „Nach dem Amoklauf wurde man regelrecht gebrandmarkt. Man konnte sich kaum öffentlich zu dem Spiel bekennen.“ Die Sportart, in der es Allouni bereits zum Vize-Europameister gebracht hat, heißt „Counterstrike“.
Der Name der Terrorismus-Simulation hat sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt. Heute vor einem Jahr ermordet der 19-jährige Robert Steinhäuser an seinem Gymnasium in Erfurt 16 Menschen und danach sich selbst. Die Politik steht dem Massaker ratlos gegenüber. Irgendetwas muss unternommen werden, und zwar sofort. Es ist Wahljahr.
Da kommt der vermeintliche Fund von Counterstrike auf der Festplatte des Täters sehr gelegen. Man hatte den Sündenbock: Das Spiel soll auf den Index. Es dürfte dann nicht einmal mehr für Jugendliche sichtbar ausgestellt oder über den Versandhandel verkauft werden. Einige, wie Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU), fordern gar ein totales „Verbot solcher Programme“.
Ob Counterstrike Steinhäusers Gewaltausbruch tatsächlich bedingt oder zumindest begünstigt hat, ist allerdings fraglich. Der Psychologe Uwe Wetter ist sich zwar sicher, dass Gewaltdarstellungen in Computerspielen potenzielle Täter konditionieren würden. Andere, wie der Informatiker Ralf Streibl von der Uni Bremen, halten dagegen, Counterstrike könne auf keinen Fall allein für das Massaker verantwortlich gemacht werden. Maßgeblich sei vor allem, „was sonst aus der Lebensumwelt mitgebracht“ werde.
Für Allouni erübrigt sich diese Diskussion von vornherein. Nach seiner Ansicht gibt es zwischen seinem favorisierten Ballerspiel und dem Massenmord überhaupt keine Verbindung. Die sei in einem „katastrophalen“ Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gezogen und zum Selbstläufer geworden. Die Medien hätten „unglaublich versagt“: Counterstrike sei bei Steinhäuser nie gefunden worden. Auch habe der Computer des Schützen keinen Internetzugang gehabt. Der ist für das Spiel aber unerlässlich.
Diese Angaben bestätigt auch Annette Schmitt, Pressesprecherin der Erfurter Staatsanwaltschaft. Counterstrike sei nie installiert worden – zumindest seit der letzten Formatierung der Festplatte. Und die sei anderthalb Jahre vor dem Verbrechen zum letzten Mal erfolgt.
Vom Spielverlauf her hat das Programm nach Meinung Allounis keinerlei Ähnlichkeit mit einem Massenmord. Counterstrike sei ein Taktikspiel. Es gehe um Teamwork und planvolles, genau getimetes Vorgehen: „Mit stumpfem Rumballern kommst du da nicht weit.“
Beim Spiel treten zwei Teams, meist je fünf Leute, gegeneinander an. Eine der Gruppen versucht nun entweder eine Bombe zu legen oder Geiseln in ihrer Gewalt zu halten, was die gegnerische Gruppe verhindern muss.
Diese Details erwiesen sich als schlagkräftige Argumente, als Allouni mit einem anderen Zocker im vergangenen Jahr in Bonn vor die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften trat. Die beiden waren in einer Online-Wahl zu Delegierten der Spieler-Szene gewählt worden. Am meisten überzeugte der Hinweis auf den Gemeinschafts-Aspekt von Counterstrike: „Da wäre nicht das Spiel, sondern die Community indiziert worden.“
Anders als sogenannte Ego-Shooter wie „Halflife“ und „Moorhuhnjagd“ oder auch das gute alte Tontaubenschießen im Grünen kann man Counterstrike nicht allein spielen, sondern nur gemeinsam mit anderen Mitspielern. Zum Beispiel im Internet oder auf sogenannten LAN-Parties, bei denen bis zu 1.000 PCs zu einem Netzwerk zusammengeschlossen werden. Steinhäuser war jedoch ein Einzelgänger.
Untypisch für einen Counterstrike-Spieler, findet Allouni. Die meisten der 300.000 „ernsthaften Spieler“ in Deutschland seien in Vereinen, sogenannten „Clans“ organisiert. Um die 1998 erschienene Software sei eine weltweite Subkultur entstanden, die von einem starken Gemeinschaftsgefühl geprägt sei. Man lerne sich meist erst übers Internet kennen und treffe sich dann auf den LAN-Parties persönlich. Nicht selten würden aus solchen Begegnungen langjährige Freundschaften.
Viele Spieler wie Allouni mit seinem Clan „team_ger“ wollen die Computerzockerei mit Counterstrike und anderen Spielen unter dem Namen „Electronic Sports“ als professionelle Sportart etablieren. In Dallas und Toulouse finden bereits regelmäßige internationale Turniere mit Preisgeldern bis zu 150.000 US-Dollar statt – gesponsort von Chip- und Grafikkarten-Herstellern. In Korea kann man von den Top-Daddlern sogar Fan-Artikel wie T-Shirts und Kalender kaufen, und die Turnier-Finale werden im Fernsehen übertragen.
In Deutschland macht das momentan nur noch Giga-TV. RTL2 zeigt seit Erfurt kein Interesse mehr. Noch ein halbes Jahr zuvor hatte der Sender das Finale des Counterstrike Nations Cup gezeigt – um 19 Uhr, zur besten Sendezeit für kinderfreundliche Programme.
till stoppenhagen