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Archiv-Artikel

Mit einem PS durch die Vogesen

An den Umgang mit dem Perd hat man sich schnell gewöhnt. Ein Netzwerk von Bauernhöfen sorgt für das abendliche Wohl von Mensch und Tier

von ELISABETH SCHÖMBUCHER

Es regnete in Strömen, als wir am Samstag in der Frühe mit „unserem“ Pferd vertraut gemacht werden sollten. Claude, der für die Pferde zuständig ist, schien den Regen gar nicht zu bemerken. In seinem langen Ledermantel und dem großen Hut sah er aus wie eine Figur aus „Spiel mir das Lied vom Tod“.

An diesem Samstag würden drei Zigeunerwagen ihre Rundreise durch die Haute Saône starten. Daisy, Rêveuse (Träumerin) und Cendrillon (Aschenputtel) würden eine Woche lang die Zigeunerwagen ziehen. Dreimal konnten wir zusehen, wie das Geschirr richtig angelegt wird, welche Reihenfolge dabei eingehalten werden muss, wo welche der unzähligen Lederriemchen festgezurrt werden müssen.

Nachdem wird dann noch erfuhren, wie Kühlschrank, Gasherd und Spüle zu benutzen sind, wurde Cendrillon vor den Wagen gespannt und unsere erste Etappe begann – mit Claude, der uns bis zum Ende des Dorfes begleitete.

Den Regen spürten wir längst nicht mehr. Viel wichtiger war die Frage: Würde das Pferd, das bei Claude so lammfromm war, auch auf unsere Kommandos hören? Würden wir wirklich beim nächsten Einspannen alle Lederriemchen am richtigen Platz festzurren?

Fontenois-la-Ville, ein kleines Dorf in der Haute Saône, nordwestlich von Belfort, bildet den Ausgangspunkt für diese besondere Art des Reisens. Der Bürgermeister hatte die Idee, in diesem so genannten strukturschwachen Gebiet eine besondere Art des Tourismus zu organisieren. Ungefähr 35 Pferde stehen in verschiedenen Bauernhöfen das ganze Jahr über auf der Weide und warten darauf, die roulottes (Zigeunerwagen) zu ziehen.

Die Höfe sind Teil eines regionalen Netzwerkes, in dem nach jeder Tagesetappe die Pferde auf die Weiden gebracht werden, während die Zigeunerwagen auf der Wiese daneben – mit Stromanschluss und vorbildlichen sanitären Anlagen – abgestellt werden. Auf Voranmeldung bieten die Bauernfamilien ein fantastisches Abendessen mit Spezialitäten aus der Region, das immer vier, fünf Gänge umfasst.

Es handelt sich hierbei um keine bloße Dienstleistung für Touristen gegen Bezahlung, sondern die Gastgeber essen zusammen mit den Gästen. Bei zahlreichen Spezialitäten, wie selbst gemachtem Cidre, Pfirsich- und Walnusslikör, unterhält man sich über die bestandenen Abenteuer des Tages und über die Besonderheiten der Region.

Die erste Tagesetappe mit einer Länge von acht Kilometern war in höchstem Maße aufregend. Die Reisebeschreibung versprach, „Vorwissen im Umgang mit Pferden“ sei „nicht nötig“. Die Pferde seien speziell ausgesucht und speziell für diese Aufgabe trainiert worden.

Keine Angst vor den großen Vierbeinern

Die Comtois, eine spezielle Pferderasse der Region Franche Comté, sind starke, kräftige Tiere und wiegen schätzungsweise 800 Kilogramm. Dabei handelt es sich aber um ausgesprochen sanfte und zarte Tiere, versicherte uns Claude.

Wir sollten mit ruhiger, sicherer Stimme zu ihnen sprechen. Sie würden dann auf uns hören, auch wenn es nicht Französisch sei. Die Kommandos holà! (halt!), allez! (geh!), hue, la fille! (hü, Mädchen!) und doucement! (langsam!) waren zwar leicht zu behalten, in schwierigen Situationen wurden sie jedoch schon mal verwechselt.

Tatsächlich verzieh Cendrillon unsere Fehler und ließ auch widersprüchliche Kommandos mit größter Geduld über sich ergehen. Schließlich wusste sie ja, wo’s langgeht.

Bei unserer ersten Rast zur Mittagszeit an einem wunderschönen kleinen See trafen wir auf Pferdewagen, deren Woche an diesem Abend zu Ende sein würde. Kompetente Hände halfen uns beim Einspannen, und der eine oder andere Tipp erwies sich noch als hilfreich.

Tatsächlich wich die Aufregung des ersten Tages allmählich einer immer größer werdenden Sicherheit im Umgang mit dem Pferd, und man konnte zunehmend die Schönheit der Landschaft genießen.

Der Tagesablauf entwickelte sich zur beruhigenden Routine. Gemütliches Frühstück, meist bei den Bauern, manchmal auch im Zigeunerwagen. Zwischen 10 und 11 Uhr holte eines der Kinder „unser“ Pferd von der Weide. Striegeln, Geschirr anlegen, vor den Wagen spannen – uns schon ging es los.

Einmal vor den Wagen gespannt, war Cendrillon nicht mehr zu halten. Sie lief nun los, und kein noch so energisches holà! konnte sie jetzt noch aufhalten, auch wenn noch nicht alle auf dem Kutschbock Platz genommen hatten.

Die Tagesetappen umfassten zwischen 10 und 15 Kilometer. Auf kleinen Wegen ging es vorbei an gelb blühenden Weiden, sanften Hügeln, Wäldern und kleinen Bächen. Gegen 13 Uhr war die Hälfte der Tagesetappe schon geschafft. Im Wald oder auf kleinen Rastplätzen wurde Cendrillon ausgespannt und von den Kindern zu den besten Futterplätzen geführt. Erst als das Pferd versorgt war, gab es Picknick für den Rest der Mannschaft. Nach zwei Stunden Pause ging es weiter, dem abendlichen Ziel entgegen.

Immer wurden wir schon weit vor unserem Rastplatz von unseren Gastgebern empfangen und dann umsichtig zur vorbereiteten Wiese geleitet. Es war jetzt erst zwischen 16 und 17 Uhr, Zeit genug für alle zum Entspannen, Spielen, für Erkundungsspaziergänge durch das Dorf, bis um 20 Uhr zum Abendessen gerufen wurde.

Man solle genügend Bargeld dabei haben, so die Reisebeschreibung, denn man würde an keiner Bank noch gar einem Bankomat vorbeikommen. Tatsächlich gibt es in den Dörfern nicht nur keine Bank, sondern auch keine Geschäfte. Brot und Lebensmittel für das tägliche Picknick und all die anderen Dinge, die man vergessen hat, kauft man bei mobilen Bäckern und Händlern, die täglich zu bestimmten Zeiten die Dörfer anfahren. Schon nach kurzer Zeit wird das charakteristische Hupen auch von den Fremden wahrgenommen.

Reisen „mit einem PS“ sind ein ganz besonderes Erlebnis. Strecken, die man selbst mit dem Fahrrad in ein oder zwei Stunden bewältigen würde, nehmen einen ganzen Tag in Anspruch. Unzählige Eindrücke, Erlebnisse, Abenteuer mit dem Pferd, müssen jeden Abend verarbeitet werden.

Der Umgang mit dem Pferd, diesem riesigen und zugleich sanften Tier, gehörte zum Faszinierendsten für uns, die wir bisher Pferde lediglich über einen Zaun hinweg gestreichelt hatten. Selbstverständlich war „unser“ Pferd das zarteste, liebenswerteste und zutraulichste Geschöpf unter den dreien.

Bis heute träumen die Kinder von „ihrem“ Pferd, und sie wünschen sich sehr, dass die Zigeunerwagenferien bald wiederholt werden.