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Archiv-Artikel

DER WESTEN DARF SICH VON NORDKOREA NICHT ERPRESSEN LASSEN Pokern mit Kim Jong Il

Es gibt wohl derzeit kaum einen Zweiten auf der Welt, den man am roten Knopf für die Atombombe mehr zu fürchten hätte als den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Il. Unter den lebenden Massenmördern zählt Kim zu den erfahrensten und ruchlosesten. Schon seit seiner Ernennung zum Nachfolger seines Vaters, des Gründers der nordkoreanischen Arbeiterpartei, Kim Il Sung, im Jahr 1974 zeichnet er mitverantwortlich für einen Repressionsapparart, dem im Laufe Jahre vermutlich hunderttausende politische Gegner zum Opfer fielen. Dass in Nordkorea die Verwandten ersten und zweiten Grades eines politisch Verurteilten mithaften, geht angeblich auf seine Initiative zurück.

Umso beunruhigender erscheint also, wenn seine Regierung jetzt offen gegenüber den USA den Besitz von Atomwaffen eingesteht. Doch diese Beunruhigung ist bezweckt. Kim steht am Rande des Ruins. Die einst stolze Volkswirtschaft Nordkoreas ist unter seiner Herrschaft fast vollständig zusammengebrochen. In den abgelegenen Provinzen des Landes an der Grenze zu China herrscht eine seit Jahren nicht abklingende Hungersnot. Und jeder Versuch von Wirtschaftsreformen ist bisher noch im Ansatz gescheitert. Kims Parteikader haben sich als unfähig erwiesen, auch nur eine einzige funktionierende Freihandelszone aufzubauen. Preisreformen im letzten Sommer haben nur zur weiteren Verarmung der Bevölkerung geführt.

Mit der Atomdrohung will Kim deshalb die Flucht nach vorn antreten, sein Volk mit Kriegsgeheul betäuben und damit ausländische Hilfe erpressen. Ein ernsthaftes militärisches Abschreckungspotenzial aber besitzt er wahrscheinlich nicht. So droht er jetzt zwar mit Atomtests und -exporten, verfügt aber nach CIA-Angaben nur über ein oder zwei Atombomben. Will er sich selbst entwaffnen? Man muss also Kim nicht gleich wie Washington zur Gefahr für den Weltfrieden stilisieren. Die richtige Antwort liegt im Dialog über Wirtschaftsreformen und Entwicklungshilfe. Statt sich zu solcher Hilfe von Kim erpressen zu lassen, sollte der Westen sie von sich aus anbieten. Erst eine daraus entstehende Abhängigkeit Nordkoreas kann Kim in der Atomfrage zu Zugeständnissen zwingen. GEORG BLUME