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Archiv-Artikel

Optimismus im Pessimismus

Auch die Bundesregierung wird ihre Wachstumsprognose am Montag zurücknehmen. Dabei traut sie sich aber offenbar mehr zu als ihre Berater und internationale Experten

Von BW

BERLIN rtr/taz ■ Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) ziert sich bis zum letzten Augenblick. „Warten Sie es ab“, sagte er gestern auf die Frage nach der – revidierten – Wachstumsprognose der Bundesregierung. „Wir werden das am Montag vorstellen. Zur Zeit überprüfen wir das noch.“ Da hatten die Nachrichtenagenturen sich längst „aus dem Ministerium“ und „aus Koalitionskreisen“ bestätigen lassen, dass Clement seine Vorhersage für das Wirtschaftswachstum in Deutschland für das laufende Jahr auf 0,75 Prozent zurücknehmen will. Bislang war die Bundesregierung davon ausgegangen, dass das Bruttoinlandsprodukt – also die Summe der im Land erzeugten Waren und Dienstleistungen – 2003 um 1,0 Prozent zunehmen wird.

Mit der neuen Prognose würde Clement sich erheblich optimistischer zeigen als beispielsweise die sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute. Diese hatten Clement in ihrem Frühjahrsgutachen nahe gelegt, die Vorhersage auf 0,5 Prozent zu senken. Noch schlechter hatte am Donnerstag die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland eingeschätzt. In ihrem World Economic Outlook traut sie Deutschland in diesem Jahr lediglich ein Wachstum von 0,3 Prozent zu. 2002 war das deutsche BIP auch nur um 0,2 Prozent gewachsen.

Für 2004 rechnet die OECD mit einem Wachstum von 1,7 Prozent, die deutschen Forschungsinstitute sagen 1,8 Prozent voraus – wobei die Experten aller Institutionen darauf verweisen, dass sich allein 0,5 Prozentpunkte aus der höheren Zahl an Arbeitstagen in 2004 ergeben – ganze fünf Tage wird das Arbeitsjahr länger sein.

Ganz so weit auseinander wie es scheint, liegen die Annahmen allerdings nicht. Alle Wachstumsprognosen sind mit einer Schwankungsbreite versehen, die die Bundesregierung etwa mit 0,25 Prozentpunkten nach unten und oben angibt.

Die neue Prognose zeigt jedoch deutlich, dass die Steuereinnahmen hinter den Planungen von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) zurückbleiben dürften. Eichel hatte bei den Beratungen stets auf eine niedrigere Annahme als Wirtschaftsminister Clement gedrängt, um realistische Zahlen für die Berechnung seines Haushalts zu haben. Die Lage im Bundeshaushalt macht ein Einhalten der geplanten Neuverschuldung von 18,9 Milliarden Euro ohnehin unwahrscheinlich. Die nächste Steuerschätzung im Mai dürfte zudem neue Milliardenlöcher aufzeigen. In der rot-grünen Koalition rechnet man deshalb fest mit einem Nachtragshaushalt.

Nach Einschätzung der OECD wird Deutschland auch auf absehbare Zeit der internationalen Entwicklung hinterherhinken. Zudem werde das Land 2004 zum dritten Mal in Folge die europäische Obergrenze von 3 Prozent für die Neuverschuldung überschreiten. Das deutsche Staatsdefizit schätzte die Organisation auf 3,7 Prozent in diesem, auf 3,3 Prozent im nächsten Jahr.

BW