: Zimmer mit Blick ins Hirn
Cosí fan tutte ist Mozarts Sommernachtstraum. Im regnerischen Bremerhaven will Jasmin Solfaghari jedoch den Ernst der Lage nicht unter den Teppich kehren. Deshalb versucht sie vergeblich, die Kunstfiguren der Oper mit Echtheit zu imprägnieren
Die Welt der Liebenden ist ein Treibhaus. Ein Glaspalast. Und wer unter dem gläsernen Dach sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen. Das könnte der Grundgedanke sein von Jasmin Solfagharis „Cosí fan tutte“-Inszenierung am Bremerhavener Stadttheater.
Stefan Heinrichs, der die Oper schon in München am Prinzregententheater eingerichtet hatte, baut auf der Drehbühne des Großen Hauses einen modisch schicken Raum mit Kaffeegarten-Atmosphäre, in dessen Mitte unübersehbar ein riesiger Stein liegt, gleichzeitig Sitzmöbel und Skulptur. Exotisches Blattwerk ragt von allen Seiten in den hochkünstlichen Raum, der den Charakter einerVitrine hat, unter deren Glasglocke die Menschen ein merkwürdiges Spiel treiben. Wenn die Verwirrung der Gefühle zunimmt, wird die Wand im Hintergrund geöffnet: Der Blick auf Sterne und Spiralnebel wechselt mit dem auf eine Mondlandschaft – oder vielleicht das Gehirn des Menschen.
„Cosí fan tutte“ ist Mozarts Sommernachtstraum, ein Geschlechterspiel, in dem die konventionellen Normen einen Riss bekommen, um am Ende – durch Vernunft gemildert – wieder in ihr Recht gesetzt zu werden. Ausgangspunkt ist die Wette des „alten Philosophen“ Don Alfonso (Benno Remling) mit den Offizieren Guglielmo (Christian Miedl) und Ferrando (Rainer Gaul), die nicht glauben wollen, dass ihre Bräute Fiordiligi (Eva Dimitrova) und Dorabella (Katarzyna Kuncio) ihnen bei erstbester Gelegenheit untreu würden.
So konstruiert die Geschichte ist, so hintergründig geht Mozart mit dieser Versuchsanordnung um. Denn ausgerechnet in dem Moment,wenn sich die Männer maskieren, um als Fremde aus dem Morgenland aufzutreten und jeweils die Frau des anderen anzuhimmeln, wird in schönsten Tönen der „Odem der Liebe“ besungen.
Die Regisseurin will den Ernst der Situation nicht unter den Teppich der „komischen Oper“ kehren, sie reduziert die zahlreichen Commedia-dell-arte-Elemente auf die Figur des Kammermädchens Despina (Daniela Stuckstette), die hier als kesses Girlie bauchnabel-frei, mit Rastahaaren und Kopfband, in hautengen und farbigen Klamotten auftritt, um sehr kokett die Animateurin der erotischen Verwicklung zu sein.
Aber für die Schwestern Fiordiligi und Dorabella findet Solfaghari keinen klaren Ausdruck. Anfangs erscheinen sie wie oberflächliche Gesellschaftsdamen, denen die plötzliche Abreise ihrer Männer wenig Kopfschmerzen bereitet, und auf die Annäherungsversuche der Unbekannten reagieren sie nur gespielt spröde. Hier wirken die Gefühle nicht nur unberechenbar, hier sind sie kaum zu sehen – und schon gar nicht zu fühlen.
So ist ausgerechnet der Versuch, Mozarts Kunstfiguren mit Echtheit zu imprägnieren, ein Problem: Statt die Komik der Oper mit allem choreografischen Witz zu entfalten, entscheidet sich Solfaghari für Statik. Dorabella und Fiordiligi sind Tragödinnen, die häufig steif stehen oder sitzen oder, unter dem Mann, liegen müssen.
Das lähmt die schöne Parabel und macht das gefährliche Liebesspiel der Figuren spannungslos. Bleibt die Musik: Hartmut Brüsch dirigert das Städtische Orchester zupackend, ohne im Tempo zu überziehen. Nach einer noch unausgewogenen Ouvertüre und trotz nicht immer überzeugender Streicher gibt es Höhepunkte im ersten und zweiten Finale.
Während die Ensemblenummern erfreulich dicht gelingen, wirken die großen Solopartien zum Teil gequält. Herausragend zwar Katarzyna Kuncio als Dorabella. Doch die junge Eva Dimitrova hat noch nicht das Format für die dunklen Liebesklänge der Fiordiligi, und der Tenor Rainer Gaul ist als Buffo-Sänger mit der Strahlkraft überfordert, die ihm der „Odem der Liebe“ abverlangt.
Vielleicht hätte es geholfen, die Oper im italienischen Original zu singen: Zu verstehen ist ohnehin wenig, und im süßen Klang des Italienischen hätte der weise, augenzwinkernde Witz des Stücks kaum dem biederen Ernst geopfert werden können, der hier am Ende steht: Überdeutlich zeichenhaft gibt es kein Happy-End, die Liebenden stehen allein und drehen sich verloren auf der Drehbühne.
Hans Happel
Cosi fan tutte, Stadttheater Bremerhaven, Großes Haus. Nächste Vorstellungen: 30. April sowie 16., 25. und 29. Mai, jeweils 20 Uhr