: Standort Deutschland verliert
Zahl der Asylbewerber in Industriestaaten sinkt im Jahr 2003 um 20 Prozent. Deutschland rutscht in Europa auf Platz drei ab. UN-Flüchtlingskommissar Lubbers sieht Ende einer „hitzigen Debatte“
BERLIN taz ■ Zum ersten Mal seit 20 Jahren steht Deutschland nicht mehr mit an oberster Stelle der europäischen Zielländer für Asylbewerber. Wie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gestern in Genf mitteilte, lag Deutschland im Jahr 2003 hinter Großbritannien und Frankreich, nachdem es 15 Jahre lang den ersten Platz und fünf Jahre lang den zweiten Platz belegte. Im Vergleich zu 2002 sei die Zahl der neuen Asylbewerber in Deutschland 2003 um 29 Prozent zurückgegangen, von 71.130 auf 50.450.
Nicht nur Deutschland ist unattraktiver geworden. Im Jahr 2003 betrug die Zahl der Asylbewerber in den vom UNHCR untersuchten 36 Industrieländern rund 463.000, 20 Prozent weniger als 2002.
„Ich begrüße diese Nachricht“, sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Ruud Lubbers, bei der Vorstellung der neuen Zahlen in Genf. „Die meisten der großen Gruppen von Asylsuchenden – besonders Afghanen, Iraker und Menschen aus Serbien und Montenegro – sind zahlenmäßig zurückgegangen, was die entscheidenden Veränderungen in ihren Heimatgebieten reflektiert.“ Er fügte jedoch hinzu: „Die positiven Entwicklungen bleiben in vielen Ländern schwach, und daher muss es weiterhin Investitionen in Hilfe und Ressourcen für diese Herkunftsregionen geben.“
Beliebtestes Zielland blieb 2003 wie schon im Vorjahr Großbritannien mit 61.050 (–41 Prozent), danach die USA mit 60.700 (–26 Prozent), Frankreich mit 51.400 und dann Deutschland. Zunahmen in der EU waren auf kleinere Länder sowie die Beitrittsländer beschränkt.
Eine hohe Zunahme bei Asylanträgen gab es nur aus Russland. 33.400 Russen, zumeist Tschetschenen, suchten 2003 in den untersuchten Industriestaaten Asyl – 68 Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten gingen nach Österreich und Polen. Russland rückte so an die erste Stelle der Herkunftsländer; 2002 hatte Irak diesen Platz eingenommen, 2001 Afghanistan und 1998–2000 Serbien und Montenegro. Die größten Rückgänge gab es bei Asylbewerbern aus Sierra Leone (–58 Prozent), Simbabwe (–52 Prozent) und Irak (–50 Prozent). In Deutschland war die Türkei Herkunftsland Nummer eins, mit 6.235 Anträgen.
Nicht berücksichtigt in all diesen Zahlen sind die vielen illegalen Migranten, die gar kein Asyl beantragen. Das UNHCR verweist überdies darauf, dass vielen Asylbewerbern das Recht zum Verbleiben in einem Land verwehrt wird und deshalb die tatsächlichen Zahlen der Aufnahme anders aussehen.
Lubbers äußerte dennoch die Hoffnung, dass sich die „hitzige Debatte und eine immer härtere Haltung“ gegenüber Flüchtlingen in Europa jetzt entspannt. „Jetzt, da die Zahlen wieder auf das Niveau der späten 80er-Jahren gefallen sind, hoffe ich, dass die Debatte sich wieder auf die Notwendigkeit konzentriert, Flüchtlinge zu schützen.“ D.J.