Sprache der Verweigerung

Der enthusiastische Glaube an die Liebe und ihre zynische Abwehr prallen in „Die Liebenden“ von Margareth Obexer aufeinander. Eine genaue Analyse des Scheiterns – uraufgeführt in Tübingen

„Du könntest dir von meiner Liebe nehmen“, sagt die Jüngere und streckt der Geliebten einen Teller mit Kuchen entgegen, als wäre es ein Unterpfand ihres unbedingten Gefühls. Doch die Ältere, desillusioniert, aus Angst vor Enttäuschung mit einem Panzer zynischer Rationalität gewappnet, hat etwas „gegen diese dumme Beseeltheit der Erstverliebten“. Der nachfolgenden Geliebten erzählt sie rückblickend von der naiven „Kleinen“, deren Stimme dann nur noch auf dem Anrufbeantworter präsent ist.

„Die Liebenden“ hat die Autorin Margareth Obexer ihren preisgekrönten Text genannt. Aber eigentlich beschreibt die in Berlin lebende Südtirolerin in dieser „Geschichte in zwei Monologen“ die scheiternde Beziehung zweier Frauen, von denen die eine nicht oder nicht mehr zu lieben vermag, während die andere mit der enthusiastischen Absolutheit der Jugend an die große Liebe glaubt. Fünf Jahre nach der Entstehung des Textes hat jetzt die Uraufführung von „Die Liebenden“ am Landestheater Tübingen (LTT) stattgefunden. Eine gewisse Skepsis war im Vorfeld angebracht, ob sich dieser formal undramatische Text, der nicht zufällig die Vorlage für ein Hörspiel bildete und zuvor lediglich als szenische Lesung aufgeführt worden war, für die Theaterbühne eignen würde. Nach siebzig atmosphärisch dichten Minuten in der Minispielstätte des LTT unterm Dach konnte man solcherlei Bedenken jedoch getrost beiseite schieben. Der 27-jährigen Regisseurin Nina Gühlstorff, der Ausstatterin Adriane Westerbarkey und den beiden wunderbaren Schauspielerinnen Julia Nehmiz und Eva Hosemann ist es gelungen, die zwei anonymen „Stimmen“ in anrührende Theaterfiguren zu verwandeln.

Obexer wollte erklärtermaßen keine explizit lesbische Liebesgeschichte schreiben. Dass das Verhalten der Figuren so nicht einem klischierten, geschlechtsspezifischen Rollenverhalten zuzuordnen ist, verdeutlicht noch zusätzlich die Macht und die Ohnmacht der Liebe. Mit untrüglichem Blick für die psychologischen Nuancen der Sprache analysiert die Autorin die Strukturen des Scheiterns jeglicher Kommunikation zwischen den ungleich Liebenden. Eine Live-Kamera, die Verwandlung der ersten, jüngeren Stimme (Julia Nehmiz) in die verschiedenen Geliebten und weitere Frauenfiguren, das Einbauen von Textschleifen nutzt die Regisseurin wiederum, um die zwischen den Textzeilen verborgene, tiefere Schicht zu veranschaulichen, ohne diese platt zu verdoppeln. Zugleich bricht sie in Szenen wie der anfangs beschriebenen die Tragik mit einer gewissen Ironie, ja Komik auf. Die entwaffnende Natürlichkeit des jungen LTT-Ensemblemitglieds Julia Nehmiz und die coole, wissende Selbstironie, mit der Eva Hosemann, die Intendantin des koproduzierenden Stuttgarter Rampe-Theaters, die ältere Frau verkörpert, machen beide Figuren zu Sympathieträgern.

Peter Spuhler kann mit dieser Uraufführung zeigen, dass er auch in seiner zweiten Saison als Intendant der schwäbischen Landesbühne die zeitgenössische Dramatik erfolgreich im Spielplan verankert hat. Eine Einladung zu den Mühlheimer Dramatikertagen 2003 mit Ulrike Syhas Auftragswerk „Nomaden“ und zwei Autorenfestivals verschafften dem ambitionierten Landestheater bereits die Aufmerksamkeit der überregionalen Presse. In der Universitätsstadt trifft Spuhlers Konzept zudem auf ein aufgeschlossenes Publikum.

Zwischen Margareth Obexer und dem LTT hat sich inzwischen eine produktive Arbeitsbeziehung entwickelt. Die künftige Stipendiatin der Stuttgarter Akademie Solitude hat zu beiden Autorenfestivals je einen Text beigesteuert und selbst inszeniert. Ihr nächstes Projekt, „Trilogie der (un)möglichen Schritte“, ist in Tübingen vorab als szenische Lesung zu sehen. Gut möglich, dass das LTT mit der sich durch eine individuelle, starke Sprache auszeichnenden Obexer eine zukunftsweisende Autorin entdeckt hat. CLAUDIA GASS