american pie
: Anaheim legt sich mit den Eishockey-Giganten an

Saison der machtvollen Enten

Dass sich das kleine Städtchen Anaheim jüngst zum Nabel der amerikanischen Sportwelt gemausert hat, ist natürlich kein Zufall. Schließlich beherbergt der Ort nicht nur die Urversion von Disneyland, sondern auch den zugehörigen Konzern. Der hatte es irgendwann satt, sein Geld nur mit niedlichen Zeichentrickfiguren zu verdienen, und warf sich auf diverse andere Geschäftszweige, zum Beispiel Profisport. Disney gehören die Anaheim Angels (Baseball) und die Anaheim Mighty Ducks (Eishockey).

Lange Zeit wirkte der sportliche Weg beider Teams wie von Donald Duck höchstselbst inspiriert: eine Abfolge grandiosen Scheiterns. Seit einigen Monaten jedoch scheint jemand irgendwo in Anaheim Dagoberts Glückstaler vergraben zu haben. Erst gewannen im letzten Herbst die Angels gegen San Francisco die World Series, jetzt scheinen die Mighty Ducks in der NHL auf dem besten Weg zum Stanley Cup, auch wenn sie beim 1:2 gegen die Dallas Stars am Montag die erste Play-off-Niederlage kassierten. Angels wie Ducks glänzen ausgerechnet zu einer Zeit, da Disney, unzufrieden mit dem Sport-Business, versucht, sie abzustoßen.

Ebenso wie die Kollegen aus der Baseball-Branche eröffneten die Mighty Ducks die Play-offs mit einem Schocker erster Güte. Die Angels hatten mit den New York Yankees den Topfavoriten in den frühen Urlaub geschickt, die Ducks fegten Champion Detroit Red Wings gleich mit 4:0-Siegen vom Eis – der erste Gewinn einer Play-off-Serie seit 1997. Die Verwandlung der lahmen in die machtvollen Enten kam unverhofft, während der Saison hatten viele Spiele noch in einer halbleeren Arrowhead Pond Arena stattgefunden. „Man kam sich vor, als sei Halloween und die Fans hätten sich als leere Sitze verkleidet“, sagt Trainer Mike Babcock (40), Neuling in der NHL. Inzwischen brodelt eine vollbesetzte Halle bei jedem Match vor Begeisterung und natürlich müssen auch die Ducks nicht auf animalisch geprägte Unterstützung verzichten. Während die Angels-Fans einen Stoffaffen in die Höhe reckten, ihren „Rally Monkey“, der die unmöglichsten Aufholjagden inspirierte, schwingen die Ducks-Anhänger Entenhandtücher und stoßen Entenquaken aus.

Coach Babcock betont, welch wichtige Rolle das Angels-Vorbild spielt. „Es war großartig zu sehen, was Glaube und Erfolgsschwung bewirken können.“ Paul Kariya, der einzige Star des Teams, pflichtet seinem Trainer bei. „Das hat jedem hier Hoffnung gegeben.“ Hoffnung war lange Zeit auch Kariyas Zuflucht in Anaheim. Als 19-jähriger College-Boy war er bei den Olympischen Spielen 1994 in Lillehammer wie die Reinkarnation von Wayne Gretzky übers Eis gewirbelt, vergab allerdings für Kanada im Finale den entscheidenden Penalty gegen Schweden. Zwei Monate später wurde er in Mailand Weltmeister. Seinen Profivertrag hatte er schon in der Tasche – dummerweise musste er zu den Mighty Ducks.

Trotz anhaltender Erfolglosigkeit blieb Kariya all die Jahre in Kalifornien. Ob sich diese Zähigkeit schließlich auszahlt oder ob den Ducks doch die Puste ausgeht, könnte sich schon heute erweisen. Mit 2:1 führen sie noch gegen Dallas, eine zweite Heimniederlage wäre aber fatal. „Wir haben nie geglaubt, dass wir jedes Spiel gewinnen“, weist Verteidiger Keith Carney jedoch alle Gedanken an ein Ende des Entenhausener Eishockey-Märchens zurück. MATTI LIESKE