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Archiv-Artikel

Bilder für Leser

Geschichten aus dem Comicgarten: Die Berliner Zeichnergruppe Monogatari hält den Spinnenmännern und anderen klassischen Comichelden Supahasis und Walfische entgegen und sorgt damit nicht nur in der Comicszene für Aufsehen

VON NINA APIN

Comiczeichner haben den Ruf, scheue Sonderlinge zu sein, die ihre einsamen Fantasien mit dem Stift in muskelgestählte Spinnenmänner und dralle Vampirjägerinnen verwandeln. Doch was beim klassischen Heldencomic amerikanischer Prägung einfach ist, erfordert im Independent-Fach etwas mehr Fantasie. Wie muss man sich den Erfinder eines besserwisserischen, brillentragenden Kaninchens vorstellen? Stets von zarten, bauchfreien Comicmädchen umringt ?

Tatsächlich sieht der Schöpfer des lustigen „Supahasi“ nicht aus wie das Gegenteil seiner Erfindung, eher ähnelt er ihr ein wenig: Er ist dünn und blass, trägt eine Brille, hat ganz leichte Hasenzähne und nennt sich Mawil. Seinen ersten Comic hat Markus Witzel bereits mit acht Jahren gezeichnet. Doch in das Klischee des Comic-Nerds passt er trotzdem genauso wenig wie sein „Supahasi“ zu Donald Duck. Mawil spricht nicht in Sprechblasen, sondern in ganzen Sätzen, verkauft auch mal eine melancholische Illustration an die Zeitung und arbeitet tagsüber. Regelmäßig schaut er im Atelier in der Lettestraße vorbei, wo seine Kollegen von der Comiczeichnergruppe „Monogatari“ arbeiten.

„Monogatari“ heißt auf Japanisch „Geschichten erzählen“ und bildet das gemeinsame Anliegen der sechs ZeichnerInnen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten. Tim Dinter, der mit Designerbrille und Retro-Sneakers genauso elegant wirkt wie seine zart colorierten Stadtimpressionen, umreißt das Projekt Monogatari so: „Wir machen seit 1999 Bilder für Leser. Nicht nur für das klassische Comic-Publikum, sondern für alle, die an einer guten Geschichte interessiert sind.“ Das klingt banal, doch wenn man sich die meisten zeitgenössischen Comics ansieht, fällt auf, wie wenig Wert diese oft auf Dramaturgie oder Charakterzeichnung legen. Zwar hat sich seit den tumben Nachkriegs-Superhelden à la Spiderman, Batman und Hulk die Bandbreite des Comics dramatisch vergrößert: Doch bis heute triumphieren meist optische Effekte über gute Storys. Zwischen den akademischen und oft schwierigen Grafiken einer Anke Feuchtenberger und dem verworrenen Berliner Humor von Fil gibt es kaum Geschichten, die das Lesen wert sind. Monogatari ist da eine Ausnahme.

Die bisher vier im Eigenverlag erschienenen Sammelbände sind einmalig in der deutschen Comiclandschaft. Stilistisch auf höchstem Niveau, aber immer auch lesbar. Schon das erste Buch „Alltagsspionage“, das die Gruppe noch in der Offsetdruckerei der Hochschule produzierte, sorgte nicht nur in der Comicszene für Aufsehen. Hier ist das riesige Spektrum der Gruppe bereits angelegt. In Jens Harders Ku’damm-Spaziergang tauchen erste krakenähnliche Tentakel auf und Mawils Protokoll einer WG-Suche bereitet seine Pubertätsgeschichte „Wir können ja Freunde bleiben“ – ganz ohne Hasen.

Agenturen und Zeitungen wurden auf die reportagehaften Großstadt-Storys aufmerksam und bestellten Einzelillustrationen. Monogatari gründete flugs einen kommerziellen Illustrationsdienst, um so unterschiedliche Kunden wie die Berliner Seiten der FAZ, Siemens und Arte bedienen zu können.

Das einträgliche Nebengeschäft erlaubte es Monogatari, zwischendrin Spaßprojekte wie ein Monster-Bilderset ganz ohne Geschichte zu realisieren. Zurzeit arbeitet die Gruppe an einem neuen Sammelband mit Comicreportagen, diesmal über Basel. Gemeinschaftsarbeiten wie diese gibt es mittlerweile nur noch etwa einmal im Jahr. Schließlich waren Gruppe und Verlag Monogatari von Anfang ein Vehikel für den individuellen Erfolg der Mitglieder – und der ist jetzt eingetreten. Man nutzt die Vorteile eines gemeinsamen Ateliers, tauscht untereinander Kontakte und Zeichenerfahrung aus, sitzt beim Tee in der Küche, wenn es am Zeichenbrett nicht mehr weitergeht. Doch so etwas wie ein Manifest oder Programm erwartet man bei Monogatari vergebens, dafür sind die sechs Künstler zu verschieden.

„An der Uni wollten sie uns einreden, dass man mit Comiczeichnen nicht erfolgreich sein kann“, grinst Jens Harder, der mit seiner Diplomarbeit gerade das Gegenteil bewiesen hat. Anderthalb Jahre hat er für „Leviathan“ in Bibliotheken, am Zeichentisch und vor dem Computer verbracht. Die opulente, von Hobbes- und Melville-Zitaten durchsetzte Wal-Saga fand sofort einen Verlag, wurde auf dem Comicfestival in Angoulême für den Titelpreis nominiert und schaffte es sogar in den Spiegel und die FAZ. Einen Comic kann man dieses reiche Bilderwerk kaum noch nennen, eher eine Bild-Text-Collage. Harder arbeitet mit akribischen feinen Tuschestrichen. Die Bildtafeln sind halb leer, die aus zahllosen Linien gebildeten Meereswellen, Kraken oder Walflossen wölben sich massiv dem Betrachter entgegen. Das Heft ist in Orangerot und Dunkelblau gehalten, wodurch man sich an japanische Holzschnitte erinnert fühlt. „Leviathan“ ist, auch an den sonstigen Erfolgen der Gruppe gemessen, die erste Monogatari-Geschichte, die weit außerhalb der Comicszene Anklang findet.

Ein Erfolg, der die anderen in der Gruppe beflügelt hat: Kathi Käppel, mit 26 die Jüngste in der Gruppe, hofft, dass ihr Diplom-Animationsfilm ähnlich gut ankommen wird. Ihre technoiden, großäugigen Figuren sind vom japanischen Manga inspiriert und entstehen ausschließlich am Computer. Für den Sammelband „Alltagsspionage“ zeichnete Käppel den Alltag in einer Start-up-Firma. Und auch Ulli Lust, die zweite Frau in der Gruppe, hat Aussicht auf Anerkennung. Die ehemalige Kinderbuchillustratorin mag alte, faltige Gesichter, am liebsten Frauen. Sie spionierte tagelang im Gesundbrunnencenter, um ihre sympathischen Figuren zu studieren, die sie dann alle mit der Hand abzeichnet.

Mit alten Gesichtern, Hasen, Trickfilm-Mädchen und Walfischen fügen Monogatari der Comicwelt fantasievolle neue Geschöpfe hinzu – und viele gute Geschichten. Und übrigens sieht auch Jens Harder natürlich kein bisschen aus wie sein Walfisch. Aber das macht ja auch nichts. Es ist an der Zeit, sich nach den dickbrüstigen Superheldinnen endlich auch von den Comiczeichnerklischees zu befreien.