berliner szenen Kind aus Bullerbü

Hiddensee ist nicht Berlin

Kürzlich in der Nachttram. Uns gegenüber ein Mädchen Anfang zwanzig mit blonden Locken, blauen Augen, roten Wangen. Sie heißt bestimmt Lisa, Britta oder Inga. Ein Mann mit günen Haaren und Armeeanorak setzt sich zu ihr und sie nimmt sofort seinen Hund in Beschlag. „Der ist ja hübsch. Zu Hause habe ich auch so einen“, versucht sie den Mann ins Gespräch zu verwickeln, „aber nach Berlin kann ich den leider nicht mitnehmen. In einer großen Stadt wie dieser würde er ausflippen, der kennt das alles ja gar nicht, so viele Autos, so viele Menschen. In Vitte, wo ich herkomme, gibt es das alles nicht.“ – „Vitte?“, fragt der Mann. „Das liegt auf Hiddensee“, strahlt das Mädchen.

Als der Mann aussteigt, verabscheidet sie sich ausführlich und stürzt sich aufgeregt auf ihr nächstes Opfer, einen Obdachlosen mit vielen Piercings und Tattoos. Sie unterhalten sich sieben Stationen lang über schlimme Grippen, die man manchmal einen ganzen Winter lang nicht mehr loswird. Sie zeigt viel Verständnis für ihn und zaubert den Umstehenden ein verlegenes, verklärtes Grinsen ins Gesicht. Womöglich denken sie an die Kinder aus Bullerbü.

Auch der Obdachlose muss irgendwann aussteigen. Doch hat sie sich längst in Rage geredet und plappert nun einfach ohne Gegenüber munter weiter. Es sei ja schon komisch, dass man sich hier nicht „Guten Tag“ sage, erzählt sie ins Nichts. Andererseits sei es ja vielleicht auch zu aufwendig, hier jeden, der einem über den Weg laufe, anzusprechen. „Da käme man aus dem Grüßen ja überhaupt nicht mehr raus“, kichert sie fröhlich vor sich hin. Auf Hiddensee ist das möglich. Da kann man fast alle 200 Kinder kennen, die die Regionale Schule besuchen.

SUSANNE MESSMER