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Archiv-Artikel

90 Minuten richtig Fußball gespielt

Deutschland III schlägt die Serbonegriner auf einigermaßen ansehnliche Art und Weise mit 1:0 und erspart Rudi Völler damit eine weitere Blamage. Dafür hat der DFB-Teamchef nun die Gewissheit, dass er so ziemlich jeden im Team ersetzen kann

aus Bremen MATTI LIESKE

Zunächst einmal erhob sich die Frage, wer da eigentlich gegen wen Fußball spielte am Mittwochabend im Weserstadion? „Die Jugoslawen“, hatte Teamchef Rudi Völler zuvor eisern beharrt, auch um seine Mannschaft nicht in Leichtfertigkeit verfallen zu lassen angesichts eines quasi namenlosen Gegners. Bis zum Spieltag hatte er sich immerhin breitschlagen lassen, sie bündig „die Serben“ zu nennen, was die Bewohner des schönen Montenegro wenig freuen wird, sollte es ihnen zu Ohren kommen. „Serbien und Montenegro“ also die eine Partei, die fürderhin der Einfachheit halber „Serbonegriner“ genannt sei.

Und die andere? Deutschland, okay. Aber welches Deutschland? Jenes, das im vergangenen Sommer Vizeweltmeister wurde? Oder am Ende doch bloß eine Ansammlung zufällig vorbeigekommener Durchschnittsfußballer, die gerade ein bisschen Zeit hatten, einigermaßen gesund waren und von Völler hinterrücks ein Adlertrikot übergestülpt bekamen? Geschanghaite Matrosen des runden Leders sozusagen. „Es wurde ja übertrieben, dass wir die dritte Garde wären“, sagte Torhüter Frank Rost nach dem Match genüsslich, was nicht nur daran lag, dass der Schalker sein engeres Arbeitsgebiet gegentorfrei gehalten hatte, sondern die Serbonegriner dank eines überaus haltbaren Fernschusses von Kehl mit 1:0 bezwungen worden waren. „Wir haben eine gute Mannschaft geschlagen“, meinte Rost, „und jeder hat bewiesen, dass er zu Recht hier war.“

Das traf den Nagel auf den Kopf. Seit den chaotischen Zeiten von Erich Ribbeck, als die Spieler sofort alles vergaßen, was sie jemals über Fußball gewusst hatten, sobald sie den Mannschaftsbus des DFB sahen, hat sich in der Bundesliga eine große Menge von begabten Fußballern etabliert, die alle ungefähr gleich gut sind und genau wissen, was sie zu tun haben. Absagen von einem runden Dutzend vermeintlicher Stammkräfte? Pah! „Wie ein abgezockter Hase, als sei er schon Jahre dabei“, so Völler, habe zum Beispiel Michael Hartmann gespielt, der emsige Emergency-Debütant auf der linken Seite von Hertha BSC. Dasselbe sagte er über Andreas Hinkel, den Neuling vom VfB Stuttgart, und hätte es über jeden anderen auch sagen können. Niemand hat sich aus dem Team herausgespielt – aber auch niemand hinein. Jeder scheint ersetzbar, außer Michael Ballack, vielleicht Bernd Schneider und möglicherweise Torwart Oliver Kahn, obwohl Rost mit drei guten Paraden den knappen Sieg sicherte.

Man hatte Rudi Völler seit der leicht märchenhaften WM glücklich gesehen nach Niederlagen (gegen Holland), grantig nach Siegen (gegen Färöer) und vergrätzt nach Unentschieden (gegen Litauen). Diesmal war er ausnahmsweise mal richtig zufrieden nach einem Sieg, auch wenn das Match wahrlich kein berauschendes war. Der Gegner präsentierte sich sehr defensiv, technisch stark, robust in der Abwehr und einigermaßen ungefährlich vor dem Tor – typisch jugoslawisch, hätte man früher wohl gesagt (und Völler auch heute noch gern). Gemessen am letzten Treffen 1998 in Lens bei der WM, wo die Jugoslawen das Vogts-Team eine Stunde lang schwurbelig spielten, um dann noch einen 2:0-Vorsprung zu verplempern, wirkte dieses Match jedoch wie ein Federgewichtsboxkampf gegen einen Schwergewichtsfight. Saubere, schnelle Aktionen, solide Fußarbeit, gute Deckung, aber kaum Höhepunkte, null Schlagwirkung und kein Grund, irgend jemanden anzuzählen. Nicht einmal die zaghaften Versuche von Ramelow und Frings, den Nickligkeitsfaktor etwas in die Höhe zu treiben, waren von Erfolg gekrönt, wohl, weil auf der Gegenseite Altekel Sinisa Mihajlović nicht mit von der Partie war. Beim Boxen hätte es ein Remis geben, weil es aber Fußball war, reichte es zu einem 1:0-Punktsieg.

Rudi Völler war sichtlich erleichtert, dass nach dem partiellen Gestolpere gegen Litauen wieder über 90 Minuten richtig Fußball gespielt wurde, auch wenn die Linie in den letzten Minuten ein wenig verloren ging, als der eingewechselte Exweltstar Predrag Mijatović einen serbonegrinischen Endspurt initiierte. „Da konnten wir den Ball nicht mehr halten“, räumte Hinkel routiniert ein, „das kann man besser machen.“ Nicht zufrieden war Völler auch mit der Effizienz im Angriff. Die ganze hübsche Kombiniererei im Mittelfeld ergab kaum eine Torchance, die „Abgebrühtheit“ habe gefehlt, und vor allem der laxe Umgang mit Ecken und Freistößen, wesentliche Basis der Vizeweltmeisterschaft, erboste den Teamchef. „Der Ball muss nicht unbedingt in den Winkel, das zählt ja auch nur einfach“, kritisierte Völler die höhenluftheischenden Schussversuche von Frings und Ramelow. Aber gerade die erfolgreiche Verwertung der Standards ist ja eine Domäne von Ballack, der bei den EM-Qualifikationsspielen in Schottland und auf den Färöer Inseln wieder dabei sein wird.

In Hinblick auf diese „ganz wichtigen“ Aufgaben konnte sich der Teamchef schließlich auch mit dem Termin des Bremer Länderspiels mitten in der Liga-Endphase anfreunden. „Man darf da heute nicht egoistisch sein“, räumte er Zugeständnisse an die Liga bei Berufung und Auswechslungen ein, „obwohl die meisten, die abgesagt haben, natürlich schon verletzt waren“, wie Völler beteuerte. „Nach so einem Spiel mit den vielen jungen Leuten bin ich froh, dass es diesen Termin gibt, es war eine würdige Nationalmannschaft“, resümierte Völler, für den die Erkenntnis dieses Abends gewesen sein dürfte, dass an echten Alternativen für fast jede Position im deutschen Team kein Mangel herrscht. Zumindest, wenn es um Federgewichtskämpfe geht.

Deutschland: Rost (2 Länderspiele) - Friedrich (7)/ 66. Hinkel (1), Baumann (15), Wörns (44), Hartmann (1) - Freier (8)/72. Asamoah (18), Ramelow (37), Frings (21), Kehl (15) - Kuranyi (2)/76. Lauth (2), Bobic (23)/46. Klose (27)Serbien-Montenegro: Jevric - Vidic, Krstajic, Stefanovic, Malbasa (80. Markoski) - Mirkovic (46. Lazetic), Trobok (84. Ilijev), Kovacevic (76. Brnovic) - Vukic (72. Boskovic) - Milosevic, Jestrovic (61. Mijatovic)Zuschauer: 26.000; Tor: 1:0 Kehl (60.)