: Brutale Wattebäuschchen
Gewalt ist keine Lösung. So kann es nicht weitergehen. Jetzt müssen Maßnahmen her
BERLIN taz ■ Nachdem am vergangenen Dienstag die Rentnerin Eleonore K. an einer Marzahner Supermarktkasse von zwei Jugendlichen auf brutalste Weise bewusstlos geräuspert wurde, als sie den fälligen Betrag von 14,12 Euro durch zeitlupenträges Zusammenkratzen von Ein- und Zwei-Cent-Stücken begleichen wollte, hat die fraktionsübergreifende Antigewaltkommission des Bundestags nun ein Papier zur Gewaltbekämpfung vorgelegt. In Berlin herrscht ungewohnte Einhelligkeit: So kann und darf es nicht weitergehen.
Bereits am Mittwoch war eine Dringlichkeitssitzung des Bundestags einberufen worden. Ein runder Tisch mit Vertretern Hollywoods, der Medien und des Duden-Verlags tagte 47 Stunden, um schließlich ein ganzes Maßnahmenpaket zu schnüren, das am Freitag verabschiedet wurde. „Wir sind uns einig: Gewalt ist keine Lösung. Keine Gewalt ist aber eine. Eine echt total gute!“, so der von der Marathonsitzung sichtlich erschöpfte Sprecher der Kommission, Carsten Freytag, auf der Pressekonferenz. Schon nächste Woche sollen erste Maßnahmen in Kraft treten.
Man habe mehrere Phasen definiert, so Freytag weiter. In der ersten Phase soll die Sprache von Gewaltelementen gesäubert werden: Künftig ginge alle Staatsüberzeugungskraft vom Volke aus. Alarm werde künftig höchstens getätschelt, nicht aber geschlagen. Pubertierende, die in die Höhe schießen, sollen von speziell geschulten Psychologen betreut werden, um einer Eskalation vorzubeugen. Und Vorschläge würden einfach nicht mehr angenommen. Lediglich für Anregungen sei man noch offen.
In der zweiten Phase werde, so Freytag, der Hollywood-Kanon einer genauen Prüfung unterzogen. Der Vertreter der Delegation aus den USA, James G. Forkner, legte hierzu ein detailliertes Reformkonzept vor. „Wir werden Filme neu denken als Antwort auf die Gewalt, die uns umgibt.“ Man werde für eine bessere Welt sorgen, das Gute werde siegen. „Möge Gott uns beistehen“, schloss Forkner seine Rede.
Bestechend einfach soll das Konzept sein: Alte Filme sollen überarbeitet werden, neue Filme bereits gewaltfrei auf den Markt kommen. Aus „Scream“ zum Beispiel wird „Das kann man doch auch ruhig und sachlich sagen, da muss man doch nicht gleich so aggressiv werden“; aus „The Blair Witch Project“ wird „Die total verrückte Reise in ein quietschvergnügtes Waldcamp“. Horrorklassiker wie „Ich folgte einem Zombie“ heißen in der Neufassung „Ich half einer alten Dame über die Straße“.
Ebenfalls von der Revision betroffen sind Fernsehserien: So wird „Buffy, the Vampire Slayer“ zwar abgesetzt, doch schon bald soll das neue Genre des Integrationsthrillers mit „Buffy – ich mag dich auch, wenn du anders bist“ sein Debüt erfahren.
Zu guter Letzt wird die Kommission auch ein Auge auf die Welt der Computerspiele werfen: der Netzwerkklassiker „Doom“ wird in seiner nächsten Version als „Doomy“ gelauncht werden. Die Spieler laufen dabei händchenhaltend durch ein rosarotes Labyrinth und versuchen, ihre Gegner in Duldungsstarre zu streicheln. Extrapunkte können durch das Aufsammeln unblutiger Wattebäuschchen erlangt werden.
Die beiden halbwüchsigen Täter, Ronny B. (15) und Falk K. (16), deren grausame Tat Anlass für die Neubesinnung ist, schweigen unterdessen beharrlich zu den Vorwürfen. „Die sind total abgebrüht, die bereuen gar nix“, meint der diensterfahrene Leiter der Ermittlungen, Kriminaloberkommissar Karl-Heinz Beckham resigniert. Tränen steigen dem hartgesottenen Fünfzigjährigen in die Augen, als er mit bebender Unterlippe hinzufügt: „Erst gestern hat sich der eine wieder geräuspert! Ich will zu meiner Mami.“ IRA STRÜBEL