: Kränkung und Hoffnung
Hamburg wählt – und stimmt zugleich über die Privatisierung der städtischen Krankenhäuser ab. Die Argumente von Gegnern wie Befürwortern gehen am Kern vorbei: der Qualität der Leistung
von ULRIKE WINKELMANN
Morgen wählen die HamburgerInnen nicht nur ihr neues Stadtparlament, die Bürgerschaft. Sie machen noch ein anderes Kreuzchen: bei der Volksabstimmung über die Zukunft ihrer städtischen Krankenhäuser. In Hamburg steht der größte Krankenhausverkauf der Bundesrepublik bevor. Der Senat hinter Bürgermeister Ole von Beust (CDU) will es so. Sieben städtische Kliniken mit insgesamt 6.300 Betten, zusammengefasst unter dem Namen Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK), sollen an die Klinikkette Asklepios gehen.
Dies wollen die Initiatoren des Volksentscheids verhindern. „Gesundheit ist keine Ware“, unter diesem Motto machen das globalisierungskritische Netzwerk Attac und die Gewerkschaften bereits seit zwei Jahren Politik gegen Sozialabbau und Privatisierung im Gesundheitssystem. Auch Wolfgang Rose, Hamburger Landeschef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, spricht von „Zweiklassenmedizin“ und „amerikanischen Verhältnissen“, die durch den Verkauf drohten. Rose ist der Kopf der Bewegung, der Erhalt des LBK als öffentliches Gut ist sein Herzensprojekt. Nicht ohne Erfolg: Die günstige Gelegenheit, mit dem emotionsbesetzten Thema Gesundheit den Hamburger Senat aus CDU, FDP und rechts-populistischer Schillpartei anzugreifen, hat dem Entscheid viel Zustimmung verschafft.
Thomas Mirow, Spitzenkandidat der SPD, verspricht: „Wenn wir die Mehrheit erhalten, wird der LBK nicht verkauft.“ Die Grünen sind verhaltener und nutzen den Entscheid vor allem als Vehikel, um Bürgermeister von Beust zu triezen: Er solle sich glasklar positionieren, ob er sich Volkes Wille beugen werde, wenn der Entscheid gegen den Verkauf ausfällt. Denn es ist durchaus wahrscheinlich, dass der Senat an diesem Wochenende gezwungen wird, die Verantwortung für den LBK zu behalten.
Und es ist durchaus möglich, dass niemand etwas davon hat: Denn die Hamburger Krankenhäuser ächzen unter der Last der Betriebsrenten, die sie sich verpflichtet haben, ihren ehemaligen Mitarbeitern auszahlen. Die Stadt Hamburg, pleite wie fast alle deutschen Kommunen, kann die Klinikdefizite nicht mehr decken. Geld, das da ist, fließt eher in Pensionen als in Gebäudesanierungen oder technisches Gerät. Nun ist der LBK Hamburg ein gigantisches Unternehmen mit hohen Ansprüchen, das sich in den vergangenen Jahren schon viel hat einfallen lassen: Neue Arbeitszeitmodelle wurden eingeführt, Personal wurde abgebaut, Sparauflagen wurden befolgt.
Doch ganz grundsätzlich stellt sich wie bei allen Krankenhausverkäufen die Frage, ob und warum eigentlich die Gesundheit in der öffentlichen Hand besser aufgehoben ist als in der privaten. Beantworten kann das gegenwärtig niemand. Auch Wolfgang Rose kann nicht erklären, warum ein LBK in den Händen von Asklepios plötzlich Zweiklassenmedizin produzieren sollte. „Das ist auf sehr langfristige Sicht so“, meint er. Natürlich weiß auch er, dass in Deutschland, anders als in den USA, es sich kein Haus leisten kann, arme und teure Patienten abzuweisen. Eine „Amerikanisierung“ der Verhältnisse ist in Deutschland nicht möglich, solange es eine allgemeine gesetzliche Krankenversicherung gibt.
Trotzdem tut die Gewerkschaft so, als würden in privat geführten Krankenhäusern nur reiche Menschen gut behandelt – wenn nicht heute, dann morgen. Damit aber werden Ängste und Gerüchte genährt, die der Debatte um ein öffentliches Gesundheitssystem letztlich nur schaden können.
Keiner nämlich weiß bislang, ob und wie die Versorgung von Patienten darunter leidet, dass Krankenhäuser privatisiert werden. Es gibt schlicht keine Daten. Das hat auch mit der Möglichkeit der Datenerhebung zu tun: Die Ärzte an einem privatisierten Klinikum werden den Teufel tun und behaupten, dass sie nun übrigens schlechter operieren. Eine vergleichende Qualitätskontrolle von Krankenhäusern scheiterte in der Vergangenheit an der Blockade der Lobbygruppen und läuft durch politischen Druck jetzt erst an.
Die Gewerkschaft Ver.di, bei Privatisierungsverhandlungen immer mit am Tisch, kann nur eines vermuten: „In privatisierten Häusern wird zu schlechteren Tarifbedingungen gearbeitet, und das wirkt sich auch auf die Betreuung von Patienten aus“, so Ellen Paschke, im Ver.di-Bundesvorstand für Gesundheit zuständig. Allerdings werden in privatisierten Häusern nicht die Ärzte oder Schwestern, sondern wird eher das in Subunternehmen ausgegliederte Küchen-, Putz- und oft auch das Verwaltungspersonal schlechter bezahlt – die Patienten merken davon kaum etwas. Tatsächlich wird in privatisierten Häusern meist rasant Personal abgebaut, indem frei werdende Stellen nicht neu besetzt werden. Natürlich schmeckt das der Gewerkschaft nicht, selbst wenn Entlassungen vermieden werden.
Gleichzeitig aber, dies gesteht auch Ver.di zu, muss in Stadtstaaten wie Hamburg und Berlin ein gigantischer Bettenüberhang von zwanzig bis vierzig Prozent abgebaut werden. Seit Jahrzehnten werden Patienten in Kliniken festgehalten, weil die Krankenhäuser ihre Betten belegen und Geld dafür kassieren wollen – nicht etwa weil es medizinisch geboten wäre. Deshalb ist es eine Frage der klugen Umverteilung von Arbeitskraft, wie die Schrumpfung der Krankenhäuser bewältigt wird. Dies jedoch kann in Privathäusern so gut wie in öffentlichen Häusern passieren – und wird hier wie dort unter Mitarbeit der Gewerkschaft versucht.
Womit aber immer noch nicht klar ist, ob Privatisierung von Krankenhäusern gut ist oder böse. Seit Beginn der Neunzigerjahre werden in Deutschland kommunale Krankenhäuser privatisiert. Der Vorgang ist eigentlich immer ähnlich: Ein maroder Bau müsste aufwändig saniert werden, die Stadt hat das Geld nicht, die Schließung droht, eine Klinikkette namens Asklepios, Helios, Rhön oder Sana taucht auf und bietet Sanierung an – wenn sie das Haus günstig bekommt. 470 der 2.200 Krankenhäuser gehörten im Jahr 2001 bereits den Privaten. Allerdings verfügten sie nur über 41.000 der insgesamt 516.000 Betten. Allein im vergangenen Jahr jedoch haben Städte wie Schwerin, Wuppertal und Gera ihre Kliniken mit je über tausend Betten verkauft, verkaufen müssen.
Die Privaten erklären, dass sie gleichzeitig wirtschaftlicher und besser arbeiten. „Weil wir eine Kette sind, können wir Pflaster wie Computertomografen günstiger einkaufen als jedes kommunale Haus“, sagt Elmar Willebrand, Hauptgeschäftsführer von Asklepios. Sein Konzern durchforstet die Arbeitsstrukturen in den übernommenen Häusern, zentralisiert die Verwaltung, ersetzt weit auseinander liegende Pavillons durch Zentralgebäude und, betont Willebrand, baut nicht bloß Personal ab, sondern manchmal auch auf. In Hamburg-Rissen etwa, dem ersten Klinikum, das Asklepios in der Hansestadt bereits vor zwei Jahren gekauft hat, seien 75 neue Stellen geschaffen worden. Nein, dies sei keine Werbemaßnahme, um die privatisierungsfeindlichen Hanseaten milde zu stimmen. Vielmehr gelänge es Asklepios, mit denselben Mitteln wie die öffentlichen Häuser nicht nur gute medizinische Leistung zu erbringen, sondern auch die Krankenhäuser zu verschönern.
Merkwürdig: Wenn die Ketten den Kommunen die Kosten für die Immobilien und ihre Sanierung abnehmen, ist das das eine. Aber das andere ist, dass sie im laufenden Betrieb nicht nur die Kosten drücken, sondern sogar Überschüsse erzielen. Der laufende Betrieb jedoch wird von den Krankenkassen, sprich mit den Kassenbeiträgen der Versichertengemeinschaft bezahlt. Die Kassenbeiträge aber werden eigentlich nur für die Patientenversorgung gezahlt, nicht dafür, dass Krankenhäuser Gewinn abwerfen, mit dem man dann andere Krankenhäuser kaufen kann.
Nur verhandeln die Krankenhäuser mit den Krankenkassen aber nicht um die Patientenversorgung, sondern um den Betrieb ganzer Häuser. Die Kassen zahlen große Summen, in denen irgendwie alles drin ist: die Blinddarmoperation ebenso wie der Tiefgaragenpförtner und das Reinigungsmittel für die Laborgeräte. Mit diesen Summen haushalten die Privaten wie die Öffentlichen. Und wo die Privaten noch Gewinne herausschnitzen, werden bei den Öffentlichen oft Verwaltungsabteilungen unterhalten, die seit Jahrzehnten nur noch sich selbst verwalten.
An dieser Stelle bricht das Dilemma des Krankenhausverkaufs auf: Wenn die Klinikketten die kommunalen Häuser schlucken, dann mag dies eine Kommune zunächst kränken, denn Krankenhäuser gehören zur Identität einer Stadt, und die Bewohner betrachten die Kliniken meist als „ihrs“. Solange die kommunalen Häuser aber nicht beweisen, dass sie besser sind als die privaten, gibt es kaum eine politische Handhabe, um eine Privatisierung zu verhindern.
Wenn ein Krankenhaus privatisiert ist, soll es Profit abwerfen. Noch vermeldet etwa die Kette Helios, dass sie alles eingenommene Geld in ihre Krankenhäuser reinvestiert habe: dass also jeder Euro aus den Krankenkassenbeiträgen der Versicherten auch wieder den Patienten und damit dem Versichertenvolk zugute kommt.
Auch Asklepios erklärt dies, wenn auch nicht so offen. Beide Unternehmen, derzeit noch GmbHs, wollen bald an die Börse. Spätestens dann wird es mit der frohgemut verkündeten freiwilligen Profitabstinenz vorbei sein: Wer Aktien verkaufen will, muss Gewinne vorweisen, die unter den Anlegern verteilt werden können. Beispiel hierfür ist die Rhön-Klinikum AG. Die darf keinesfalls von sich behaupten, dass sie sämtliche Gewinne in die Krankenhäuser steckt – schließlich gibt sie jetzt schon kein besonders gutes Bild an der Börse ab.
Letztlich ist eine Kommune mit der Entscheidung über die Privatisierung ihrer Krankenhäuser überfordert. Die Hüter des Stadtsäckels wollen nicht mehr für die Krankenhäuser zahlen. Wenn ein Konzern kommt und sagt, wir machen das für euch, sind sie froh und werden außerdem noch die Verantwortung für unbeliebte Maßnahmen wie Klinikschließungen los. Gleichzeitig entscheiden sie damit jedoch auch, dass die Krankenkassenbeiträge der gesetzlich versicherten 72 Millionen Bürger dafür genutzt werden, dass andere Leute sich damit an der Börse eine goldene Nase verdienen – die wahrscheinlich privat versichert ist.
Nur die Versichertengemeinschaft selbst könnte dies verhindern, wenn sie es denn will. Ein Volksentscheid ist dazu keine schlechte Maßnahme, und das Motto „Gesundheit ist keine Ware“ ist in seiner trotzigen Vermischung von Wunsch und Wirklichkeit kein schlechtes Motto. Aber die Gründe gegen eine Privatisierung sind andere, als die Gewerkschaft sie glauben macht: Es droht keine Zweiklassenmedizin, jedenfalls nicht mehr davon, als wir schon haben. Es droht in der Tat Personalabbau. Aber letztlich sollten nicht die, die in den Krankenhäusern arbeiten, bestimmen, was nötig ist, sondern die, die sie bezahlen und die darin liegen: die Versicherten und die Patienten.
ULRIKE WINKELMANN, 32, ist Inland-Redakteurin der taz mit Schwerpunkt Gesundheit