: Der Ball rollt ohne Knöllchen
Im Streit um das Kickverbot vor dem Reichstag rief der Berliner Fußball-Verband zum provokativen Spiel-Showdown mit der Bezirksstadträtin. Szenen eines „High-Noon-Kick-in“ und ein Kompromiss
von SUSANNE LANG
Warmlaufen: Reichstagsvalley, Sonntag 11.54 Uhr. Die Sonne brennt auf das zarte Grün-Braun. Ein sanfter Windhauch. Stille. Plötzlich: Er. Im grünen Trikot. Schienbeinschoner. Turnschuhe. Ergrautes Haar. Erregte Stimme. „Dieser Platz hat eine Tradition“, schreit Helmut Salisch in die Mikrofone und in die Blöcke der Journalisten. „Hier haben immer Freizeitsportler gespielt, und wir werden es weiter tun!“ Steilvorlage des Vizepräsidenten des Berliner Fußball-Verbandes (BFV). Der Rasen vor dem Reichstag wird zurückerobert. Koste es Knöllchen, so viele es wolle. 50 Euro Strafe pro Kick hatte das Bezirksamt angedroht. Abmarsch vom weißen Mannschaftsbus der Funktionäre des BFV.
Einlaufen: Rasenrand, 11.58 Uhr. Die Sonne brennt auf die sattgrünen Mützen der vier Beamten. Ein Funkgerät rauscht. Lagebesprechung des Einsatzkommandos von Wache 34. Plötzlich: Er. Braun gebrannt. Grauer Bart. „Wir sind vom Bezirksamt gerufen worden, um Amtshilfe zu leisten“, erklärt Robert Liedtke, Einsatzleiter und Hauptkommissar, in die Mikrofone und Blöcke. „Wir warten auf Order des Bezirksamtes.“ Der Rasen wird verteidigt. Koste es notfalls Knöllchen. Abmarsch vom grün-weißen Mannschaftsbus der Polizei.
Aufheizen: Rasenmitte, 12.03 Uhr. High Noon, die Sonne brennt auf ein weißes Haupt und einen schwarzen Hut. Mikrofone baumeln, Kameras schubsen – die Meute ist bereit. Plötzlich: Er und sie. Er im grünen Trikot. Zerzauste graue Haarstränen. Roter Kopf. Sehr erregte Stimme: „Seit 50 Jahren wird hier Fußball gespielt, gelebte Integration ist das. Vorbeugende Jugendarbeit!“, schreit Otto Höhne. Kicken statt kriminell sein – Steilvorlage des Präsidenten des BFV.
Dann: sie. Im schwarz wallenden Gewand. Schwarzer Hut. Brille. Leicht gerötete Wangen. „Aber Herr Höhne“, säuselt Dorothee Dubrau. „Hier spielen große Vereine mit teilweise bis zu 160 Leuten, keine Jugendlichen.“ Konter der Bezirksstadträtin Mitte (Bündnis 90/Die Grünen). Schluss mit der teuren Rasenaufpäppelung, weil ihn die Grätschen der Kicker beackern. Genug gekostet der Rasen.
Neue Steilvorlage des Präsidenten: „Die Schäden am Rasen kommen doch nicht von den paar Kickern!“ Konter der Bezirksstadträtin: „Herr Höhne, zwingen Sie mich doch nicht zu Zwangsmaßnahmen.“
Verteidigungsgrätsche Höhne: „Zwangsmaßnahmen hatten wir in unserer Geschichte genug.“ Aus und Abmarsch, die Mannschaft wartet.
Kicken: Rasenmitte, zwei Schritte weiter, 12.10 Uhr. Grünbehoste Beine dribbeln, Kicker hüpfen. Aufstellung am Kreis. Anpfiff. Der Ball rollt! Und der Ball rollt! Höhne im Anlauf, Höhne – ahhhhh. Fehlpass. Der Ball rollt zurück. Dirk Diggler vom gegenerischen Freizeitkickerverein Cosmos Berlin läuft auf das Tor zu. Läuft und läuft und Schuuuss und Tooooooor!
Bezirksstadträtin Dubrau flüstert mit ihrem Einsatzkommando. Schultern zucken. Funkgeräte rauschen. Und Höhne gibt nicht auf. Höhne läuft, Höhne stolpert, aber Höhne läuft immer noch. Höhne? Höööööhhhhne! Toor. Eins zu eins. Abpiff. Remis.
Vertagen: Überall, 12.30 bis 13.30 Uhr. Bezirksamt, Ordnungsamt und Polizei schreiten zur Tat: „Bitte verlassen Sie den Rasen.“ Ein mündlicher Verweis. In die Mikrofone. An den Ohren der Spieler vorbei. „Wir sind zum Kicken da. Aus.“ Plötzlich: Spielstopp. Der Ball steckt fest. Der Pressepulk blockiert das Spielfeld. Nichts rollt mehr.
Eine schwarze Dame in der Mitte. Vier Polizisten daneben. Verschwitze Trikots am Rande. Schaulustige überall. Zähe Verhandlungen. Aber keine Knöllchen. Die Sonne brennt immer noch. Plötzlich: ein Vorschlag. Der BFV bietet an, immer nur einen Teil der Fläche zu bespielen. Wechselnd, damit der Rasen genug Zeit zur Erholung hat. Ein Kompromisssignal: Die Bezirksstadträtin will den Vorschlag ins Bezirkamt bringen. Die Mikrofone und Blöcke sind verwirrt. Ähh, und die Knöllchen? „Machen wir doch nicht, wenn so viel Presse da ist“, sagt der Einsatzleiter vertrauensvoll. Ähhh, ja. Und nun? „Wir brauchen eine Tribüne, bei so viel Rummel“, meint ein Kicker von Cosmos. „Und einen Sponsor. Wegen der Refinanzierung des Rasens.“ Ähh, ja.