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Archiv-Artikel

Ein „neues Kenia“ nimmt Gestalt an

Kenias neuer Präsident Mwai Kibaki reformiert sein Land, die Bürger sind begeistert. Jetzt ist die Verfassung dran

NAIROBI taz ■ Mehr als 600 Vertreter der kenianischen Zivilgesellschaft fangen heute an, eine neue Verfassung für das Land zu schreiben. Die Konferenz am Rande der Hauptstadt Nairobi begann am Mittwoch, regelte aber zunächst nur Verfahrensfragen und behandelt ab heute Inhalte. Die Beratungen unter Vorsitz eines Patrick Lumumba versprechen, spannend zu werden: Sie sind der Höhepunkt des Reformprozesses, den die im Dezember 2002 gewählte Regierung von Präsident Mwai Kibaki eingeleitet hat, um nach fast vierzig Jahren Herrschaft der früheren Einheitspartei Kanu (Keniya African National Union) ein „neues Kenia“ zu schaffen.

Vier Monate ist Kibaki jetzt im Amt, und die Bevölkerung ist insgesamt zufrieden. Von kostenloser Schulbildung bis zum Kampf gegen Korruption hat die neue Regierung viele Probleme angepackt. Das politische Klima ist offener, es wird jetzt ohne Angst über die Zukunft diskutiert und gestritten. Aber die Freude über die Energie, mit der die Regierung das Erbe ihrer Vorgänger angreift, wird überschattet von Entsetzen über den Schmutz, der dadurch bekannt wird.

Das Erschütterndste bis jetzt war die Öffnung von Folterzellen im Keller des Nyayo-Gebäudes, ein braunes Hochhaus mit Regierungsbüros am Kenyatta-Platz im Zentrum von Nairobi. „Die Folterzellen sind bloß die Spitze des Eisbergs“, meint Kang’ethe Mungai, Koordinator der „Organisation Befreiter Politischer Gefangener“ (RPP). „Es gibt mehr solche Stellen im ganzen Land. Sie brauchen nicht alle Museen zu werden, aber die Wahrheit soll ans Licht kommen.“ Mungai wurde selbst in den 80ern in den Kellern des Nyayo-Gebäudes gefoltert, weil er die Regierung des damaligen Präsidenten Daniel arap Moi kritisiert hatte. Heute kritisiert er Kibaki: „Die Folterer von damals sitzen auch in der neuen Regierung. Wir suchen Beweise gegen einen sehr hohen Ministerialbeamten, der bei uns als ‚Kimendero‘ (Zerschmetterer) bekannt ist. Er zertrümmerte die Hoden von Gefangenen.“

Kurz vor den Wahlen waren zahlreiche Mitglieder der scheidenden Regierungspartei zur Oppositionsallianz Narc (National Rainbow Coalition) übergelaufen und konnten sich so über den Machtwechsel retten. Nun koexistieren in Kibakis Regenbogenallianz verschiedenste politische Strömungen. Uneinigkeiten konnten so nicht ausbleiben.

Um Streitereien innerhalb der Narc beizulegen, wurde daher kürzlich eine Konferenz am Fuss von Mount Kenya organisiert, der höchste Berg im Land. Minister gaben zu, sich gegenseitig untergraben zu haben, und gelobten brav Besserung. „Die Offenheit und Ehrlichkeit der Narc-Koalition stimmt hoffnungsvoll“, meint der Geschäftsmann John Otieno. „So etwas haben wir in der Geschichte von Kenia noch nicht erlebt. Ich denke, dass wir politisch gewachsen sind.“

Doch es gibt auch Kritik an der neuen Regierung. Der Regierungsstil von Präsident Kibaki ist vollkommen anders als der seines Vorgängers Daniel arap Moi. Während Moi immer wieder politisch Stellung bezog, lässt sich Kibaki nur wenig in der Öffentlichkeit sehen. Er delegiert lieber. Das hängt auch mit der schwachen Gesundheit des 72-Jährigen zusammen, der während des Wahlkampfs einen Autounfall hatte, seinen Amtseid im Rollstuhl schwor und angeblich auch einen Herzanfall hinter sich hat. „Es wird höchste Zeit, dass der Präsident sagt, wie es um seine Gesundheit steht“, meint der Politologe Mutahi Ngunyi. „Jetzt schon wird über seine Nachfolge spekuliert.“

Große Kritik gibt es auch an den Parlamentariern. Als Erstes beschlossen sie nach dem Machtwechsel eine kräftige Diätenerhöhung. Mit über 6.000 Euro pro Monat gehören sie jetzt zu Afrikas bestbezahlten Abgeordneten. Der Finanzminister, der gegen ein enormes Haushaltsdefizit kämpft, ließ das murrend zu, weil die Abgeordneten sonst das Antikorruptionsgesetz blockiert hätten.

ILONA EVELEENS