Also alles selbst machen

Angesichts des großen Falschen doch noch das Unmögliche wagen: 250 Aktivisten aus aller Herren Länder waren für drei Tage nach München zum „Neuro – Networking Europe“-Kongress angereist

Um Netzwerke sollte es gehen, und darum, was man mit ihnen anstellen kann

VON TOBIAS RAPP

Ist es möglich, dass die Geschichte an ein Ende gekommen ist? Dass das Pendel, das immer zwischen sozialem Fortschritt und Reaktion hin und her zu schwingen schien, stehen geblieben ist? Auf der falschen Seite? Melancholisch blickte Franco Bifo Berardi drein, als er diese Fragen stellte. Könnte es sein, dass ein Mediendiktator wie Silvio Berlusconi Fakten schafft, hinter die es kein Zurück mehr gibt? Möglich, gab seine Gesprächspartnerin Valerie Rey Alzaga zurück. Auch sie mache sich keinerlei Illusionen darüber, wie viel Macht die Antiglobalisierungsbewegung tatsächlich habe. Auch in den USA nehme die Repression zu. Das ändere aber nichts daran, dass etwas getan werden müsse.

Die beiden blickten einen von einer großen Leinwand in der Münchner Muffathalle an, und ihr Dialog umriss ziemlich genau das Konfliktfeld, in dem sich der „Neuro – Networking Europe“ Kongress bewegte. Um Netzwerke sollte es gehen und darum, was man mit ihnen anstellen kann, und um den Zusammenhang von Technologie und sozialen Bewegungen. Wobei Neuro eigentlich gar kein Kongress sein wollte – „three days of collaboration and common production“ kündigte das Programm an.

Hier saß also der melancholisch gewordenen italienische Medientheoretiker, Schüler von Felix Guattari und Mitbegründer des legendären Piratensenders Radio Alice aus Bologna. Dort eine der Organisatorinnen des nicht minder sagenumwobenen Streiks der kalifornischen Putzkolonnen – wer die Wunderdinge noch nicht gehört hat, die man sich über diesen Arbeitskampf erzählt, schaue sich Ken Loachs Film „Bread and Roses“ an. Hier der leicht resignierte Betreiber einer der zahllosen Piratenfernsehsender, die wegen einer Lücke im Mediengesetz gegenwärtig in Italien aus den Dachböden schießen. Dort die nimmermüde Grassroots-Organisatorin von der amerikanischen Westküste. Hier das Gefühl, alles könne auch umsonst gewesen sein. Dort die Überzeugung, das mit den Medien sei ja alles schön und gut, am Ende komme es aber darauf an, die Kiste auszuschalten und face to face Überzeugungsarbeit zu leisten, zu agitieren, sich auf Kämpfe vorzubereiten.

250 Aktivisten aus aller Herren Länder waren nach München gereist, zu einer Veranstaltung, auf der man oft nicht so genau wusste, welchem Desiderat da eigentlich hinterhergeschaut wurde. Von der Aufregung der Vorgängerveranstaltung Make World war nur noch wenig zu spüren. Im Spätherbst 2001 war das gewesen, mitten im Nachbeben des 11. September und der Schüsse von Genua. Was damals alles zueinander zu passen schien – Gewerkschafter aus Südkorea, Migrationsforscher aus Australien, Radikale aus Italien, Studenten aus Berlin – fiel nun ein wenig auseinander. Und das, obwohl die Einladungspolitik ohnehin schon wesentlich fokussierter war als ehedem. Wenige Monate vor der EU-Erweiterung waren vor allem die Vertreter osteuropäischer Initiativen und Alternativmedien eingeladen worden.

Vielleicht lag diese Ratlosigkeit in Schwierigkeiten begründet, wie sie der niederländische Medientheoretiker Geert Lovink gleich zu Beginn der Veranstaltung in seinem 3-Phasen-Modell zur Entwicklung von Netzwerken vorgestellt hatte. Phase eins sei verwurzelt in einem Ereignis, sei es sozialer Natur oder ein politischer Konflikt. Irgendetwas passiert und Leute tun sich zusammen. Phase zwei sei dann die Phase des schnellen Wachstums und der großen Aufregungen, es werde debattiert, wie es weitergehen soll, die möglichen Grenzen des Netzwerks werden ausprobiert und alles ist aufregend und wunderbar. Sogar die unvermeidlichen Streite tragen zur Stärkung des Ganzen bei, weil sie das Gefühl befördern, es gehe um etwas Großes und Wichtiges. Phase drei schließlich sei die Phase der Normalisierung. Das Netzwerk ist da und die Arbeit beginnt. Nachhaltige Strukturen wollen entwickelt. Pläne umgesetzt werden. Und hier würden Netzwerke meist in ernsthafte Schwierigkeiten kommen, so Lovink. Networking is not working; wenn die Arbeit beginnt, gibt es meist ein Problem.

So war die Muffathalle in zwei Sphären aufgeteilt: einen bestuhlten Veranstaltungssaal und einen Raum, in dem gearbeitet werden konnte. Von dem überall aus dem Halbdunkel hervorleuchtenden Apfelsymbol abgesehen glich das ganze aber eher den Ständen bei der Luxemburg-Liebknecht-Demo als einem sozialen Laboratorium. Da saß man an seinen Tischen und vertrieb sich die Zeit mit Rauchen und Reden.

Dabei waren die Projekte gar nicht uninteressant. Medienguerilleros aus Rom stellten sich vor, die die Pay-TV-Verschlüsselung von Fußballspielen knacken und das Spiel dann über Piratensender herausschicken, auf dass das ganze Viertel sie sehen kann. Multimdia-Center aus Zagreb, Ljubljana, Novi Sad, Sarajevo, Riga und Bukarest präsentierten sich und ihre Schwierigkeiten, ohne die Unterstützung der Soros Foundation ihre Arbeit machen zu können. Alles zusammengehalten durch einen Supernetzwerkknoten, der in der veranstaltungsfreien Zeit zwischen den Treffen unter makeworlds.org, d-a-s-h.org und kein.org mehrere Interfaces zum Rest der Welt unterhält.

Doch so schön es ist, all diese Leute zu treffen, all diese Kontakte zu haben – ein wenig ähnelte die Problemlage dieses Netzwerks der der Globalisierungsgegnerbewegung als Ganzer. Ein Gefühl der Ratlosigkeit und Stagnation herrschte vor – eine Befindlichkeit, der man im Sinne einer Bewegungslogik am besten durch eine neue Organisationsform begegnen könnte. Etwas, das all die verschiedenen Interessen und Gruppen, Netzwerke und Ideen auf ein neues Plateau heben würde. Tatsächlich lauerte irgendwo am Erkenntnishorizont von Neuro eine Frage, die zu stellen man sich nicht so richtig traute: Braucht es am Ende eine Partei? Oder gibt es andere Möglichkeiten diese Netzwerke zusammenzuhalten, die sich in den letzten zehn Jahren begründet haben, und die Globalisierungsgegner zu nennen man sich der Bequemlichkeit halber angewöhnt hat?

Denn die Behauptung, im Zeitalter der Globalisierung hinge alles mit allem zusammen und in der Bewegung der Bewegungen hätten somit auch alle Platz, von den Flüchtlingsrechtlern und Sans-Papiers bis zu den urheberrechtsbekämpfenden Bürgerkindern, ist zwar nicht falsch. Ab einem gewissen Punkt muss man sie nur recht laut vor sich her murmeln. Denn auch wenn man Ähnliches möchte, heißt das noch lange nicht, dass man nicht in komplizierte Widersprüche verwickelt wäre, die nicht zuletzt der Klassenlage geschuldet sind. Dafür kann niemand was, aber diese Widersprüche gibt es. Aufgehoben werden können sie nur durch Organisation. Wie die aussehen könnte, ist aber unklar.

In Anbetracht dieses organisatorischen Vakuums wunderte man sich manchmal, wie wenig Interesse die etablierten Parteien an dieser Multitude aufbringen, seien sie nun postkommunistisch oder grün. Heißt es nicht allenthalben, den Parteien gehe der Nachwuchs aus? Hörte man dann aber den Vertreter der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf einem Panel zur neuen Arbeitswelt sprechen, dann sah man, warum: Um die Frage, die hier diskutiert wurde, überhaupt nur zu verstehen, müssten sich die Parteien einen großen Teil dessen aufgeben, was man so schön Politikfähigkeit nennt.

Für prekär Beschäftigte ohne Aufenthaltsgenehmigung etwa machen eine Reihe von Grundannahmen, auf deren Basis offizielle Politik gemacht wird, schlicht keinen Sinn: etwa die Trennung von Arbeit und Leben. Für jemand, der gerade deshalb ausgebeutet wird, weil ihm oder ihr die Abschiebung droht, gehört beides zusammen. Das kann, wem jegliche soziale Fantasie abhanden gekommen ist und wer Politik vor allem als etwas Administratives begreift, nicht verstehen.

Also alles selbst machen? Was für Schwierigkeiten sich dabei auftun, konnte man bei einem Workshop beobachten, den Valery Rey Alzaga zur Gründung von thistuesday.org gab, einer Internetplattform, die sich der Organisation von nicht dokumentierten Arbeiterinnen und Arbeitern widmen soll. Das fing bei ganz banalen Fragen an: Wie verständigt man sich überhaupt? Wie organisiert man eine Plattform, wenn diejenigen, an die sie sich richtet, meist gar kein Englisch können, die Ressourcen zum Beschäftigen von Übersetzern aber beschränkt sind? Ganz abgesehen von dem Umstand, dass die meisten Illegalen gar keinen Zugang zu Computern haben?

Immerhin waren dies aber die Momente, wo jenes Abenteuertum wieder sein Haupt erhob, ohne das radikale Politik nicht zu haben ist. Der Glaube, dass es angesichts des großen Falschen eine Frage des Realismus ist, das Unmögliche zu wagen.