ZWEITE ÜBERRASCHUNG: EIN APPARATSCHIK WIRD RUSSISCHER PREMIER : Eigentlich hat Putin sich selbst gewählt
Wladimir Putin, weltweit geschätzt wegen seiner Berechenbarkeit, wird zum Freund gelungener Überraschungen. Erst entließ der Kremlchef den langjährigen Premier Michail Kasjanow. Nun präsentiert er mit Michail Fradkow einen Nachfolger, von dem bislang selbst Insider nichts gehört haben. Dabei hatte Putin den russischen Wählern den Kabinettswechsel noch mit dem Versprechen von Transparenz schmackhaft gemacht. Sie sollten schließlich wissen, was sie erwartet, wenn sie, wie es von ihnen erwartet wird, am 14. März dem russischen Präsidenten mit mindestens 70 Prozent Zustimmung eine zweite Amtszeit bescheren.
Nach außen, Richtung Westen, erweckt die Ernennung eines erfahrenen Handelsministers und EU-Botschafters den investorenfreundlichen Eindruck, am Wirtschaftskurs werde sich nichts ändern. Nach innen wird der blässliche Apparatschik Fradkow nur jenen Wählern etwas signalisieren, die sich noch auf die alten sowjetischen Deutungsmuster verstehen. Wer jünger ist, dem wird diese Personalentscheidung wenig sagen. Muss sie auch nicht, denn mit Michail Fradkow hat Wladimir Putin – dies ausnahmsweise keine Überraschung – sich selbst ernannt. Der im Labyrinth des sowjetisch-russischen Staatsapparates erfahrene Bürokrat ist ein Meister seines Herrn, arbeitete wiederholt im Sicherheitsapparat und war bereits in den 70er-Jahren womöglich ein KGB-Mann.
Die Umstände dieser in aller Heimlichkeit vorbereiteten Entscheidung beschreiben Weltbild und Politikverständnis der russischen Führung. Vom aufgeklärten Absolutismus kann im Kreml nun nicht mehr die Rede sein. Der Monarch ist einsam, traut offenkundig nicht einmal seiner engsten Umgebung. Damit ist Russland dort angekommen, von wo es vor zwanzig Jahren mit Gorbatschow aufgebrochen ist. Die Einsetzung eines Premiers, der den Einfluss der Sicherheitskräfte stärken wird, ist ein indirekter Beleg für die Klaustrophobie der Macht. Sie kann sich ihrer aber nur sicher sein, wenn sie die Öffnung der Gesellschaft blockiert. Dazu wird Fradkow sein Teil beitragen.
KLAUS-HELGE DONATH